Nahrung aus dem Meer

Der Ozean galt lange Zeit als unermessliche Speisekammer. Die Zeiten des Überflusses sind jedoch längst vorbei. Durch Überfischung, Küstenverbauung und den Klimawandel hat der Mensch bereits vielen marinen Arten ihre Lebensgrundlagen genommen. Neue Konzepte für nachhaltige Fischerei und Aquakulturhaltung versprechen Besserung, werden in der Praxis jedoch kaum umgesetzt. Den Preis dafür zahlen am Ende nicht nur die Lebensgemeinschaften der Meere, sondern auch wir Menschen.

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Problemzone Fischerei

> Sardellen, Thunfisch & Co. gehören mittlerweile zu den am häufigsten gehandelten Nahrungsmitteln und werden in Rekordzahl gefangen. Im Gegenzug steigt die Zahl der überfischten Bestände, weil Fangquoten zu hoch sind und vielerorts illegal gefischt wird. Neue Richtlinien und Technologien haben das Potenzial, Verbrechern das Handwerk zu legen. Damit sich die Fischbestände der Welt aber grundlegend erholen und auch künftig noch ausreichend Nahrung liefern können, bedarf es vor allem eines politischen Willens, Schutzkonzepte flächendeckend umzusetzen.

 

Problemzone Fischerei

Problemzone Fischerei Abb. 3.4: Kevin Gorton/Getty Images;> Sardellen, Thunfisch & Co. gehören mittlerweile zu den am häufigsten gehandelten Nahrungsmitteln und werden in Rekordzahl gefangen. Im Gegenzug steigt die Zahl der überfischten Bestände, weil Fangquoten zu hoch sind und vielerorts illegal gefischt wird. Neue Richtlinien und Technologien haben das Potenzial, Verbrechern das Handwerk zu legen. Damit sich die Fischbestände der Welt aber grundlegend erholen und auch künftig noch ausreichend Nahrung liefern können, bedarf es vor allem eines politischen Willens, Schutzkonzepte flächendeckend umzusetzen.

Fischkonsum
Unter dem Begriff „Fischkonsum“ fasst die Welternährungsbehörde alle Fischarten sowie Muscheln, Krebstiere und andere aquatische Organismen zusammen, die für den menschlichen Verzehr gezüchtet oder gefangen werden.

Wachsender Appetit auf Fisch

Menschen essen nicht nur gern Fisch, Muscheln, Krebstiere und andere Meeresfrüchte – sie verspeisen pro Kopf auch immer mehr. In den zurückliegenden Jahrzehnten ist die weltweite Nachfrage nach aquatischen Lebensmitteln so stark angestiegen, dass heutzutage doppelt so viele Fischereierzeugnisse für den menschlichen Verzehr produziert werden als noch vor 40 Jahren. Die Weltbevölkerung ist im selben Zeitraum von 5,6 auf 7,6 Milliarden Menschen angewachsen und kann daher nur einen Teil der Marktexpansion erklären. Hauptgrund scheint der wachsende Appetit auf Fisch zu sein. Verzehrte im Zeitraum von 1986 bis 1995 jeder Erdenbürger rein rechnerisch noch etwa 13,4 Kilogramm Fisch und Meeresfrüchte jährlich, weist der aktuellste Fischereibericht der FAO (Food and Agriculture Organization of the United Nations; Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen) für das Jahr 2018 einen durchschnittlichen Pro-Kopf-Verbrauch von 20,5 Kilogramm pro Jahr aus. In dieser Angabe enthalten sind sowohl Fischereiprodukte aus dem Ozean als auch jene aus Seen, Flüssen und Teichen.

Abb. 3.1 nach FAO, 2020

3.1 > Fisch und Meeresfrüchte werden auf der ganzen Welt gefangen und verzehrt – allerdings in ganz unterschiedlichem Maß. In Südostasien, Westeuropa, Skandinavien und Grönland konsumieren die Menschen pro Kopf deutlich mehr Fisch als im nördlichen Afrika, im Osten Südamerikas oder im Nahen Osten.

Fisch und Meeresfrüchte machen weltweit 17 Prozent der von Menschen verzehrten Menge tierischen Eiweißes aus. Untersucht man genauer, wer die Fischereiprodukte isst, zeigt sich, dass mehr als 3,3 Milliarden Menschen mindestens ein Fünftel ihres Bedarfes an tierischem Eiweiß mithilfe aquatischer Lebensmittel decken. In Ländern wie Bangladesch, Kambodscha, Gambia und Indonesien liegt dieser Anteil sogar bei 50 Prozent oder darüber, was bedeutet, dass Fischereiprodukte in diesen Staaten eine herausragende Rolle in der Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung spielen. Deutschland rangiert eher im Mittelfeld. Während zum Beispiel jeder Einwohner Indonesiens mehr als zehn Gramm Fischeiweiß pro Tag zu sich nimmt, kommen die Deutschen laut FAO-Statistik auf vier bis sechs Gramm Fischeiweiß pro Tag. Der Pro-Kopf-Verbrauch pro Jahr liegt in Deutschland bei zehn bis 20 Kilogramm Fisch (Lebendgewicht).

 

Abb. 3.2 nach Troell et al., 2019

3.2 > Fisch gilt als wichtige Eiweißquelle und enthält außerdem viele Vitamine, Nährstoffe sowie die mehrfach ungesättigten Omega-3-Fettsäuren, die als Baustein für die Zellmembranen gebraucht werden. Was weniger bekannt ist: Im Fischfleisch reichern sich unter Umständen auch Schwermetalle, Dioxine, marine Biogifte wie Ciguatoxin sowie Antibiotika an.

Die Zunahme des weltweiten Fischkonsums ist auf verschiedene Ursachen zurückzuführen. Zum einen wurden mehr Fisch und Meeresfrüchte produziert. Zum anderen haben demografische Veränderungen sowie verbesserte Kühl- und Lieferketten dazu beigetragen, dass heutzutage nicht nur in Industrieländern häufiger Fisch auf den Teller kommt, sondern auch in Entwicklungsländern, in denen die Urbanisierung voranschreitet. Statis­tiken zeigen nämlich, dass dort, wo Menschen vom Land in die Stadt ziehen und langfristig ein höheres Einkommen erzielen, sie auch häufiger Fisch und Meeresfrüchte kaufen oder entsprechende Gerichte in Garküchen und Restaurants bestellen. Fisch ist zudem vielerorts günstiger als Fleisch und gilt wegen seiner Vitamine, den lebenswichtigen mehrfach ungesättigten Fettsäuren (Omega-3-Fettsäuren) und wegen seines geringen Cholesteringehaltes als besonders gesunde Nahrung. Nach Angaben der FAO importierten Entwicklungsländer im Jahr 2018 rund 49 Prozent der weltweit gehandelten Fischereierzeugnisse. Damit hat sich der Importanteil der Entwicklungsländer in den zurückliegenden vier Jahrzehnten mehr als verdoppelt.

Abb. 3.3 nach FAO, 2020

3.3 > Seit Jahrzehnten steigt weltweit die Menge der gefangenen und in Aquakultur produzierten Fische und Meeresfrüchte.

Ermöglicht werden diese Steigerungsraten, weil Gewässer heutzutage stärker befischt und gleichzeitig mehr Speisefische und andere Organismen in Aquakultur gezüchtet werden. Betrug die globale Produktion von Fischen und Meeresfrüchten nach Angaben der FAO im Jahr 2006 noch etwa 140 Millionen Tonnen, waren es im Jahr 2018 rund 179 Millionen Tonnen. Rund 46 Prozent (82 Millionen Tonnen) davon stammten aus Aquakulturhaltung, die restliche Menge von 96,4 Millionen Tonnen landeten Fischer an.
Die Meeresfischerei macht bis heute den größten Anteil an Wildfängen aus. Auf sie entfielen im Jahr 2018 rund 84,4 Millionen Tonnen. Dies entspricht einem Anteil von 88 Prozent und liegt nur zwei Millionen Tonnen unter dem bisherigen Spitzenwert aus dem Jahr 1996. Zu den wichtigsten sieben Meeresfischereinationen der Welt gehören der Reihe nach China, Peru, Indonesien, Russland, die USA, Indien und Vietnam. Gemeinsam landen sie mehr als die Hälfte aller Fänge in den Meeren an.

Abb. 3.4 Kevin Gorton/Getty Images

3.4 > Fischerei und Aquakultur sind Lebensgrundlage für mehr als zehn Prozent der Weltbevölkerung. Die meisten Kleinstfischer leben dabei in Asien. Diese Frau verkauft ihren Fang auf einem Markt in Vietnam.

Nachdem die Meeresfischer bis in die 1990er-Jahre hinein stetig mehr Fisch gefangen haben, sind die Fangzahlen seit 2005 relativ stabil geblieben. Die offizielle Gesamtmenge lag in den zurückliegenden 15 Jahren meist in einem Bereich zwischen 78 und 81 Millionen Tonnen. Das auffällige Plus im Jahr 2018 geht vor allem auf die ­chilenischen und peruanischen Sardellenfischer zurück. Diese hatten im Berichtsjahr wieder deutlich mehr Peruanische Sardellen (Engraulis ringens) im Netz als in den drei Jahren zuvor.
Die FAO erfasst mittlerweile die Fischereidaten für mehr als 1700 Meeresfischarten. Inwieweit ihre Statis­tiken jedoch die tatsächlichen Fänge abbilden, ist schwer zu sagen. Die FAO selbst verweist in ihrem Bericht darauf, dass sie in erster Linie mit den offiziellen Fangdaten arbeitet, welche ihr die Staaten übermitteln. Fehlen in diesen Fangmeldungen wichtige Daten oder weigern sich, wie im Fall Brasiliens, Nationen sogar, mit der FAO zu koope­rieren, versucht die Welternährungsbehörde die Daten­lücken zu schließen, indem sie die fehlenden Fangmengen schätzt. Dazu greift sie auf andere offizielle Quellen zurück – etwa auf die Statistiken der Regionalen Fischereigremien (Regional Fishery Bodies, RFBs) und der Regionalen Organisationen für das Fischereimanagement (Re­gional Fisheries Management Organisations, RFMOs).
Internationale Forschungskooperationen wie das Projekt Sea Around Us versuchen daher, offizielle Fangdaten der FAO mit Schätzungen über Beifang sowie illegale oder nicht berichtete Fänge zu kombinieren. Angaben über deren Umfang sind erwartungsgemäß mit großer Unsicherheit verbunden. Nichtsdestotrotz führen sie dazu, dass die Gesamtmenge der weltweit gefangenen Fische höher ausfällt. Ein Beispiel: Im Jahr 2016 wurden laut Sea Around Us rund 104 Millionen Tonnen Meeresfisch und andere marine Organismen gefangen. Die FAO dagegen vermeldet für dasselbe Jahr Fänge in Höhe von 78,3 Mil­lionen Tonnen Meeresfisch. Die Differenz von 25,7 Mil­lionen Tonnen umfasst illegale oder nicht berichtete Fänge. 8,1 Millionen Tonnen davon – also rund 7,8 Prozent der Gesamtfangmenge – wurden als ungewollter Beifang wieder über Bord geworfen. In etwa jeder vierte gefangene Fisch taucht demnach nicht in der FAO-Statis­tik auf.

Abb. 3.5 nach Sea Around Us

3.5 > Das Forschungsprojekt Sea Around Us kombiniert in seiner Statistik offiziell berichtete Fänge mit Schätzungen zu illegalen Fischzügen und Beifang, der direkt auf dem Meer wieder entsorgt wurde. Die berechnete Gesamtmenge gefangener Fische ist daher deutlich höher als jene der FAO.

Kritiker bemängeln außerdem, dass die FAO in ihren Diagrammen zur Entwicklung der Wildfänge und Aquakulturproduktion zwei wichtige Aspekte nicht kenntlich macht: zum einen die Menge wild gefangener Sardinen, Heringe, Sprotten und anderer Schwarmfische, die zu ­Futtermitteln wie Fischmehl und -öl verarbeitet werden und somit nicht für den direkten Verzehr zur Verfügung stehen. Ihr Anteil beläuft sich auf schätzungsweise 25 Prozent der Meeresfänge. Zum anderen werden in der Aquakulturbilanz Muscheln samt Schalen gezählt. Bei Zuchttieren wie Austern aber machen die Schalen 80 Prozent des Gesamtgewichtes aus; essen kann man sie jedoch nicht. Aus diesem Grund, so die Kritiker, dürfe man die Gesamtproduktion der Aquakulturindustrie nicht gleichsetzen mit der Menge an Nahrung, die produziert wurde. Deren Wert sei entsprechend kleiner.

Sardellen und Pollack am häufigsten im Netz

Bricht man die FAO-Gesamtfangmenge aus dem Zeitraum 2017 bis 2018 auf einzelne Fischarten herunter, sticht die Peruanische Sardelle (Engraulis ringens) deutlich aus der Menge hervor. Mehr als sieben Millionen Tonnen des bis zu 20 Zentimeter langen Schwarmfisches haben Fischer im Jahr 2018 vor der Westküste Südamerikas gefischt. Damit führt sie die Liste der am meisten befischten Arten unangefochten an. Auf Platz zwei folgt mit einer Fangmenge von 3,4 Millionen Tonnen Pazifischer Pollack (Theragra chalcogramma), im deutschen Handel auch Alaska-Seelachs genannt. Platz drei geht mit 3,2 Millionen Tonnen an den Echten Bonito (Katsuwonus pelamis), der am häufigsten gefischten Thunfischart der Welt. Sie lebt in den tropischen und subtropischen Meeren, wird gelegentlich aber auch in der Nordsee gefangen.

Abb. 3.6 nach FAO, 2020

3.6 > Der meiste Fisch wird in den gemäßigten Breiten gefangen. Die Tropenfischerei wächst jedoch kontinuierlich.

Thunfische und ähnliche Arten werden von Jahr zu Jahr intensiver befischt. Dieser Trend setzte sich auch im Jahr 2018 fort und erreichte einen neuen Spitzenwert von insgesamt 7,9 Millionen Tonnen. Der Zuwachs geht vor allem auf vermehrte Fischzüge im westlichen und zentralen Pazifik zurück. Wurden hier Mitte der 2000er-Jahre noch rund 2,6 Millionen Tonnen Echter Bonito, Gelbflossenthunfisch (Thunnus albacares) und andere Thunfischarten gefangen, sind es mittlerweile 3,5 Millionen Tonnen. Auf ähnlichem Niveau lag auch die Menge der gefangenen Kopffüßer. Die am häufigsten befischten Arten waren hier der Humboldtkalmar (Dosidicus gigas), der Argentinische Kurzflossenkalmar (Illex argentinus) sowie der Pazifische Kalmar (Todarodes pacificus).
Zugenommen hat die Fischerei in den zurückliegenden Jahren vor allem in den tropischen Gebieten des Indischen und Pazifischen Ozeans. Die größten Fänge aber werden noch immer in den mittleren Breiten mit gemäßigtem Klima gemacht. Die Menge der hier gefangenen Organismen addierte sich im Jahr 2018 auf rund 37,7 Millionen Tonnen.

Abb. 3.7 Magnus Lundgren/naturepl.com

3.7 > Der Kalmar ­Todarodes pacificus lebt im nördlichen ­Pazifik und ist einer der am stärksten befischten Kopffüßer. Die Fangzahlen gehen seit Jahren zurück, was daran liegen kann, dass die Population um mehr als 70 Prozent eingebrochen ist

Viel zu viel gefischt

Wo Fangzahlen stetig steigen oder aber auf hohem Niveau verharren, kommt man nicht umhin, zu fragen, welchen Schaden die Fischerei den Lebensgemeinschaften des Ozeans zufügt. Eine fundierte Antwort darauf scheitert jedoch schon daran, dass man über den Status der meisten Fischbestände gar nichts weiß, weil sie nicht wissenschaftlich untersucht werden. Bekannt ist weder, wie groß diese Bestände einmal waren, noch in welchem Maß sie durch die Befischung abgenommen haben, weshalb es für diese Meeresfischarten und -bestände auch keine Management- oder Schutzkonzepte gibt. Dennoch werden sie so umfassend befischt, dass diese Fänge in der Summe etwa die Hälfte aller weltweit angelandeten ­Meeresfische ausmachen.
Die andere Hälfte dagegen stammt aus wissenschaftlich begutachteten Fischpopulationen. Bei ihnen handelt es sich in der Regel um Arten, die große Populationen aufbauen, im industriellen Maßstab befischt werden und in Gewässern beheimatet sind, in denen Industrienationen das Sagen haben. Die Bestände wissenschaftlich zu erforschen und die Fischereien zu überwachen, erfordert nämlich Geld und handlungsfähige Fischereibehörden, weshalb vor allem aus Entwicklungsländern aussagekräftige Erkenntnisse zum Zustand der Bestände und dem Ausmaß der Fischerei fehlen.
Doch selbst wenn diese Daten vorliegen, ist es eine schwierige Aufgabe, einzuschätzen, wie produktiv eine Fischpopulation ist und wie viele Fische bei den gegebenen Umweltbedingungen maximal entnommen werden können, ohne den Bestand langfristig zu gefährden. Selbst unter Fischereibiologen gehen die Meinung hier sehr weit auseinander. Ein Fischbestand gilt gemeinhin als gesund, wenn er aus so vielen Tieren besteht, dass eine größtmögliche Menge Fisch (englisch: maximum sustainable yield, MSY) entnommen werden kann, ohne die Population langfristig zu gefährden. Dem Konzept zufolge verbleiben also stets so viele Individuen im Meer, dass deren Nachwuchs ausreicht, den Bestand wieder so weit anwachsen zu lassen, dass in der nächsten Saison erneut die MSY-Menge an Fisch entnommen werden kann. Die FAO spricht in diesem Fall von einem Bestand, der maximal nachhaltig befischt wird. Diese Formulierung führt jedoch regelmäßig zu Missverständnissen. Viele Menschen setzen die Größe nachhaltig befischter Bestände nämlich gleich mit der Größe natürlicher, nicht befischter Populationen. Dabei sind Erstere in der Regel 30 bis 50 Prozent kleiner als Letztere. Ihre natürliche Bestandsgröße erreichen nur jene Populationen, die nicht befischt werden.

Abb. 3.8 nach FAO, 2020

3.8 > Ein klarer Abwärtstrend: Laut FAO waren im Jahr 2017 bereits 34,2 Prozent aller wissenschaftlich beobachteten Fischbestände überfischt. 6,2 Prozent wurden in einem geringen Maß und 59,6 Prozent in einem biologisch maximal möglichen Maß befischt.

Als überfischt gilt ein Bestand, wenn die verbleibende Population zu klein ist, um sich wieder vollständig zu erholen und langfristig gleichbleibend hohe Fischerei-erträge zu produzieren. Weltweit trifft diese Beschreibung immer häufiger zu, denn die Zahl der bekannten und über ihre Belastungsgrenze hinaus befischten Bestände steigt seit Jahrzehnten. Es sind also immer weniger Fische im Meer. Galt nach FAO-Angaben im Jahr 1974 noch einer von zehn wissenschaftlich begutachteten Beständen (zehn Prozent) als überfischt, waren es im Jahr 2017 bereits 3,4 von zehn (34,2 Prozent). Ihr Anteil hat sich also innerhalb von vier Jahrzehnten mehr als verdreifacht. Als kaum befischt oder unterfischt galten im Jahr 2017 lediglich 6,2 Prozent der bekannten Fischbestände. Die verbleibenden 59,6 Prozent wurden nach Angaben der FAO in einem nachhaltigen Ausmaß befischt. Das heißt, es wurden so viele Fische entnommen, wie auch nachwachsen können.
Noch gravierender fällt das Urteil kanadischer und deutscher Fischereibiologen aus, die vor Kurzem auf Grundlage der kombinierten Fangdaten von Sea Around Us die Bestandsentwicklung von 1300 befischten Meeres­organismen, einschließlich wirbelloser Tiere, über die zurückliegenden 60 Jahre untersucht haben. Demnach liegen mittlerweile 82 Prozent der begutachteten Populationen unterhalb des Niveaus, auf dem sie maximal nachhaltige Erträge hervorbringen können. Das heißt, es sterben jeweils mehr Tiere, als nachwachsen können. Auf lange Sicht, so die Forscher, werden die Fischer deshalb immer kleinere Fänge in ihren Netzen haben – selbst dann, wenn sie länger und intensiver fischen.

Abb. 3.9 nach FAO, 2020

3.9 > Der FAO-Vergleich zeigt: Das Mittelmeer und das Schwarze Meer gehören zu den am intensivsten befischten Meeresregionen der Welt.

Meeresschützer und viele Wissenschaftler fordern deshalb eine Abkehr vom weitverbreiteten Ein-Arten-Management und dem Streben nach maximal nachhaltigen Fischereierträgen. Die hohe Zahl der überfischten Bestände zeige, dass dieser Ansatz ökologisch nicht nachhaltig sei und die Rolle von Fischen in den Nahrungsnetzen der Meere ignoriere. Durch die Fischerei bis an die Belastungsgrenze lasse der Mensch den Arten außerdem keinen Puffer oder Spielraum, um auf sich verändernde Umweltbedingungen reagieren zu können, argumentieren die Gegner. Sinke zum Beispiel die Fortpflanzungsrate einer Art, weil das Wasser in ihren Laichgebieten im Zuge des Klimawandels wärmer werde, verschiebe sich die Grenze für maximal nachhaltige Erträge sehr schnell. Intelligentes Fischereimanagement dagegen, wie es zum Teil in der Europäischen Union, vor allem aber in den USA praktiziert werde, ziele auf etwas geringere Erträge ab. Dadurch verringere sich das Risiko einer unbeabsichtigten Über­fischung und die Populationen wären weniger anfällig für Umweltveränderungen.
In der Europäischen Union beispielsweise schauen Fischereimanager nicht nur auf die tatsächliche Bestandsgröße einer Art. Sie arbeiten stattdessen eher prozess­orientiert und stellen die Frage, wie hoch die fischereiliche Sterblichkeit eines Bestandes sein darf, wenn dieser auf lange Sicht seine MSY-Größe erreichen oder aber diese beibehalten soll (FMSY). Laut Expertenmeinung fallen die wissenschaftlich empfohlenen Fangquoten daher in der Regel auch geringer aus als das theoretische Maximum. Ressourcenschonender wäre ihrer Auffassung nach nur noch ein Ende der Fischerei.
Realität ist allerdings auch, dass vielerorts die Tat­sache, dass ein Fischbestand als überfischt gilt, Fischer nicht davon abhält, dieser Art weiterhin nachzustellen. Im Mittelmeer und im Schwarzen Meer beispielsweise stuft die FAO inzwischen 62,5 Prozent der befischten Bestände als überfischt ein. Der seit Jahrzehnten anhaltende Fischereidruck hat mittlerweile dazu geführt, dass im türkischen Teil beider Meere mindestens 17 beliebte Speisefischarten ausgerottet wurden, darunter der Blauflossenthunfisch (Thunnus thynnus), der Schwertfisch (Xiphias gladius) und die Makrele (Scomber scombrus). Gleichzeitig löste ihr Verschwinden eine Kettenreaktion in den betroffenen Ökosystemen aus. Ein Makrelenjäger wie der Heringshai (Lamna nasus) beispielsweise wurde seit Jahrzehnten nicht mehr in den türkischen Küstengewässern gesichtet. Gleiches gilt für Weiße Haie (Carcharodon carcharias), die bis in die 1980er-Jahre den damals noch wandernden Thunfischschwärmen bis in das Marmarameer folgten. Heute gelten die großen Räuber in diesem Teil des Mittelmeeres als ausgestorben.

Interessenkonflikte auf Kosten des Meeres

Die Überfischung der Meere ist kein neues Phänomen. Stark abnehmende Fangzahlen verzeichneten Fischer bereits in den 1970er-Jahren, als zum Beispiel die Heringsbestände im Nordostatlantik unter dem hohen Fischereidruck zusammenbrachen. Zur selben Zeit schrumpften auch die Bestände der Peruanischen Sardelle dramatisch und die Kabeljaufischerei in den Gewässern Neufundlands kollabierte. Die Sorge um die heimischen Fischbestände veranlasste einige Küstenstaaten, eine 200 Seemeilen breite Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) einzurichten, in welcher es ausländischen Fischern fortan verboten war, ihre Netze auszuwerfen. Dieser Ansatz wurde auch in das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (UNCLOS) übernommen, welches 1994 in Kraft trat.

Abb. 3.10 l. Solvin Zankl, www.solvinzankl.com

3.10 > Im Jahr 2020 gab es in der westlichen Ostsee nur noch so wenige Heringe und Dorsche, dass beide Fischarten nicht mehr ihr ganzes Laichgebiet mit Eiern versorgen konnten. Klimawandel und Rippenquallen taten ihr Übriges, sodass Forscher und Fischer am Ende vergeblich nach Jungfischen (l.: Heringslarve, r.: Dorsch­larve) Ausschau hielten.

Abb. 3.10 r. T. Reusch, GEOMAR

Mit der Ausschließlichen Wirtschaftszone vor der Haustür begannen zumindest die Industriestaaten, Fangstatistiken zu führen und den Zustand der Bestände wissenschaftlich zu überprüfen. Mitte der 1990er-Jahre häuften sich dann Forschungs- und Medienberichte, wonach die Fänge vieler Schlüsselarten wegen Über­fischung dramatisch eingebrochen sind, und im Juni 2003 bezeichnete ein weltweit beachteter Bericht der Pew Oceans Commission zur Gesundheit der Ozeane Überfischung erstmals als ernsthafte Bedrohung.
Aufgeschreckt vom Zukunftsszenario zusammenbrechender Bestände begannen vor allem die Industrie­na­tionen, die Fischerei in ihrer Ausschließlichen Wirtschaftszone zu regulieren – in einigen Bereichen sogar mit Erfolg –, wobei unter anderem in der Europäischen Union bis heute der strikte politische Wille fehlt, dem Meeresschutz oberste Priorität einzuräumen und den wissenschaftlichen Empfehlungen zu einer Beschränkung der Fischerei zu folgen. Grund dafür ist vor allem, dass bis heute niemand eine Antwort darauf gefunden hat, wovon all jene Menschen künftig leben sollen, die bislang ihren Lebensunterhalt mit wild gefangenem Fisch verdienen.
Fisch und Fischereiprodukte gehören mittlerweile zu den am häufigsten gehandelten Nahrungsmitteln der Welt. Im Jahr 2018 addierte sich der Erstverkaufswert aller durch Fischerei und Aquakultur erzeugten Fischereiprodukte auf 401 Milliarden US-Dollar. Gleichzeitig bilden Fischerei und Aquakultur die Lebensgrundlage für etwa zehn Prozent der Weltbevölkerung. Nach Angaben der FAO arbeiteten im Jahr 2018 weltweit rund 39 Mil­lionen Menschen direkt in der Fischerei (Inlandsfischerei eingeschlossen); die Aquakulturindustrie zählte weltweit 20,5 Millionen Angestellte. Im Vergleich zum Berichtsjahr 2015 verzeichneten beide Sektoren einen leichten Zuwachs.

Abb. 3.11 DEEPOL by plainpicture/Konstantin Trubavin

3.11 > Ein indonesischer Aquafarmer watet durch seinen voll besetzten Garnelenzuchtteich. Das ­asiatische Land ist nach China der zweitgrößte Aquakulturproduzent der Welt mit jährlichen Wachstumsraten von bis zu 12,9 Prozent.

85 Prozent aller Fischer und Aquakulturfarmer leben und arbeiten in Asien, wobei der typische Fischer keineswegs auf einem großen Trawler anheuert. Laut FAO-Statistik stammen etwa neun von zehn Beschäftigten aus Entwicklungsländern, wo sie sich als Kleinstfischer verdingen oder in Aquakulturanlagen ihren Lebensunterhalt verdienen. In Europa sowie Nord- und Südamerika dagegen sinkt die Zahl der im Fischereisektor beschäftigten Personen seit Jahren. Arbeiteten im Jahr 2015 noch 338 000 Europäer in der Fischerei, waren es drei Jahre später nur noch 272 000 Männer und Frauen. Zum Vergleich: In Asien verdienten 2018 rund 30,8 Millionen Menschen ihren Lebensunterhalt durch Fischfang.
Bis heute finden mehr als 95 Prozent aller Fischfänge innerhalb der Ausschließlichen Wirtschaftszonen statt. Das heißt, das Fischereimanagement liegt vor allem in der Verantwortung der Nationalstaaten. Diese verwenden verschiedene Werkzeuge und Konzepte, um ihre Bestände zu verwalten.
Dabei hat sich in den zurückliegenden drei Jahrzehnten gezeigt, dass durch gezielte Regulierung die Überfischung reduziert und Bestände geschont werden konnten. Nichtsdestotrotz führte nicht jede Maßnahme zu den angestrebten ökologischen Verbesserungen. Einige Regelungen ließen den Fischern zu viele Optionen, diese zu umgehen; andere funktionierten zwar bei Arten mit hohen Fortpflanzungsraten, versagten aber bei Arten mit weniger Nachkommen. Wieder andere können im lokalen Maßstab angewendet werden – etwa in abgelegenen kleinen Fischergemeinden –, eignen sich jedoch nicht für Fischerei im industriellen Maßstab.

S. 84/85 Tabelle nach www.oceanpanel.org/future-food-sea

Vor- und Nachteile verschiedener Fischereimanagementansätze

S. 84/85 Tabelle nach www.oceanpanel.org/future-food-sea

Die heimliche Plünderung der Meere

Lässt man die als ungewollten Beifang entsorgten Fische außer Acht, ist rein rechnerisch etwa jeder fünfte bis sechste Meeresfisch, der irgendwo auf der Welt gekauft oder zubereitet wird, auf verbotene Weise gefangen worden. Das heißt, sein Fang war entweder illegal, wurde nicht berichtet oder erfolgte unter unkontrollierten Rahmenbedingungen (englisch: illegal, unreported and unregulated fishing, IUU-fishing).
Als „illegale Fischerei“ gelten alle Fischereiaktivitäten, die gegen geltende nationale und internationale Vorschriften oder aber gegen die Regeln der jeweils zuständigen Regionalen Organisation für Fischereimanagement verstoßen.
In die Kategorie „nicht berichtete Fischerei“ fallen Fischzüge, deren Fänge entweder keiner offiziellen Behörde gemeldet werden; bei denen falsche Angaben etwa zur Fangmenge, zu den befischten Arten, zum Fischereigebiet und zur Menge des Beifanges gemacht werden – oder aber bei denen andere erforderliche Informationen vorenthalten werden, so zum Beispiel Angaben zum Ver­laden von Fängen auf Kühlschiffe. Streng genommen gehören auch die Subsistenzfischerei (Fischen für den eigenen Verzehr) sowie die Fänge von Kleinstfischern in vielen Ländern zur nicht berichteten Fischerei. In beiden Fällen würde aber vermutlich niemand den beteiligten Fischern kriminelle Machenschaften unterstellen.
Als „unkontrollierte Fischerei“ werden Fischereiaktivitäten bezeichnet, für die es noch keine nationalen oder internationalen Kontrollinstanzen gibt, die aber dennoch gegen internationale Gesetze oder weltweit geltende Prinzipien und Übereinkommen zum Schutz der Artenvielfalt verstoßen. Dazu gehören zum Beispiel das Fischen mit Schiffen, die nirgendwo gemeldet und somit staatenlos sind, oder aber das Fischen in RFMO-Gewässern, obwohl der Flaggenstaat des Schiffes kein Mitglied dieser RFMO ist.

Abb. 3.12 Richard Herrmann/Minden/naturepl.com

3.12 > Dem vom Aussterben bedrohten Totoaba aus dem östlichen Pazifik stellen vor allem chinesische Hochseefischer nach. Der Grund: Auf asiatischen Märkten wird die Schwimmblase des Küstenfisches mit 1400 bis 4000 US-Dollar pro Stück gehandelt – wegen ihrer angeblich heilenden Wirkung.

Die Verlockung, IUU-Fischerei zu betreiben, ist groß. Zum einen werden gerade hochwertige Speisefische wie Thunfische zu hohen Preisen verkauft. Zum anderen werden Fisch und Meeresfrüchte weltumspannend gehandelt. Laut FAO gingen im Jahr 2018 rund 38 Prozent aller Fischereierzeugnisse (Wildfänge und Aquakultur) in den Export. Der Wert dieser Waren belief sich auf 164,1 Milliarden US-Dollar. Den Verkaufswert illegaler Fänge schätzen Experten auf zehn bis 23 Milliarden US-Dollar. Vermutlich noch viel größer aber sind die ökologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schäden, die durch illegale Fischerei entstehen.
Experten sprechen in vielen Fällen mittlerweile von grenzüberschreitender organisierter Kriminalität, deren Ausmaß nicht nur die marinen Ökosysteme auf dramatische Weise bedrohe, sondern auch ein Sicherheitsproblem darstelle. Groß angelegte illegale Fischzüge ausländischer Fischereiflotten – etwa in den Küstengewässern afrikanischer Staaten – minimieren oder vernichten die heimischen Fischbestände und gefährden die Nahrungssicherheit der Küstenbevölkerung. Kleinstfischer werden ihrer Lebensgrundlage beraubt, wodurch kriminelle Machenschaften wie Piraterie gefördert werden. Gleichzeitig entgehen den Staaten Steuereinnahmen in Millionenhöhe. Darüber hinaus torpedieren illegale Fischzüge lokale, regionale und internationale Schutzbemühungen. Wer das Ausmaß der IUU-Fischerei in einem Meeresgebiet nicht kennt und dessen Bestands- und Fangzahlen daher falsch einschätzt, hat wenig Aussichten auf Erfolg.
Illegale Fischerei wird außerdem oft mit Menschenrechtsverletzungen und Sklaverei in Zusammenhang gebracht, vor allem in Südostasien. Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organization, ILO) berichten diverse Opfer von Erpressung, psychischem und sexuellem Missbrauch, von tödlichen Unfällen wegen fehlender Sicherheitsvorkehrungen an Bord der Fangschiffe sowie körperlich äußerst schwerer und sehr gefährlicher Arbeit zu einem Hungerlohn.
Um der systematischen IUU-Fischerei ein Ende zu bereiten, empfehlen Experten eine Reihe von Maßnahmen. Demnach sollten groß angelegte illegale Fischzüge nicht mehr als Managementproblem, sondern als organisiertes Verbrechen betrachtet und entsprechend verfolgt werden. Allen Verantwortlichen müsse zudem bewusst gemacht werden, dass vielerorts weitere kriminelle Machenschaften mit illegaler Fischerei verbunden seien, so zum Beispiel Korruption, Dokumentenfälschung und Menschenhandel. Um der Plünderung der Ozeane Einhalt zu gebieten, müssten Küstenstaaten ihre Fischereigesetze verschärfen und mit aller Konsequenz durchsetzen. Aufgabe der internationalen Staatengemeinschaft sei es dabei, betroffene Nationen nicht nur bei der Überwachung ihrer Küstengewässer zu unterstützen, sondern auch klare Regeln, Aufgaben und Verantwortlichkeiten im Kampf gegen illegale Fischerei auf internationaler Ebene zu definieren.
Gleichzeitig würden Mechanismen benötigt, mit deren Hilfe Informationen über Schiffe, deren Eigner, Routen und Fischereilizenzen schneller zugänglich gemacht werden. Fehlende Informationen über Akteure und Verantwortliche seien bis heute eines der größten Hindernisse im Kampf gegen illegale Fischerei. Außerdem sollten regionale Netzwerke und Partnerschaften zwischen Regierungen, Behörden und Umweltschutz­organisationen ausgebaut und die Zusammenarbeit der Staaten in Sachen maritime Sicherheit verstärkt werden. Unabdingbar sei es zudem, die mit illegaler Fischerei ­verbundenen Finanzströme und Geldwäscheprozesse aufzudecken und strafrechtlich zu verfolgen.
Abb. 3.13 U. S. Navy photo by Kwabena Akuamoah-Boateng, U. S. Embassy Ghana/Released

3.13 > Ein Team aus US-amerikanischen und ghanaischen Küstenschützern überprüft im Golf von Guinea ein Schiff, das im Verdacht steht, illegal zu fischen. Meeresfrüchte sind die wichtigste Quelle tierischen Eiweißes für die Menschen in Ghana. Die Küstengewässer des afrikanischen Landes aber sind seit Jahrzehnten stark überfischt.

Zwei wichtige, relativ neue Instrumente im Kampf gegen groß angelegte Fischereiverbrechen sind moderne Satelliten- und Positionstechnik sowie das internationale PSMA-Übereinkommen zur Verhinderung illegaler, nicht berichteter oder unkontrollierter Fischerei (Agreement on Port State Measures [PSMA] to prevent, deter and eliminate illegal, unreported and unregulated fishing). Es trat im Jahr 2016 in Kraft, wurde bis Februar 2020 von 66 Staaten ratifiziert und bemächtigt Küstenstaaten, Schiffen unter fremder Flagge die Einfahrt in einen Hafen zu verbieten, wenn Grund zur Annahme besteht, dass diese in illegale Fischereiaktivitäten involviert sind und entsprechende Fänge an Bord haben.
Dazu muss man wissen, dass illegal gefangener Fisch meist auf zweierlei Weise in den Handel gelangt. Im ersten Fall verladen die Trawler ihre Fänge bereits auf offener See auf ein Kühl- oder Fabrikschiff, wo die Fische dann sofort verarbeitet und unter Umständen Erzeugnissen aus legalen Fängen beigemischt werden. Die Herkunft der einzelnen Fischfilets jetzt noch nachzuvollziehen, ist für Kontrolleure, Zwischenhändler und Kunden nahezu unmöglich, weshalb das Verladen von Fängen auf offener See von einigen Regionalen Organisationen für das Fischereimanagement auch verboten wird. Gemacht wird es vielerorts trotzdem, weshalb Experten die Ver­ladeaktionen (englisch: transshipment) als eines der größten Schlupflöcher für illegale Fischerei bezeichnen. Die zweite Strategie besteht darin, große Mengen illegal gefangenen Fisches in Tiefkühlcontainer zu verladen, diese in einem nahe gelegenen Hafen auf Containerschiffe umzuladen und von dort auf die Reise in alle Welt zu schicken. Der Vorteil: Gefriercontainer werden im Vergleich zu anderen Warentransporten in den Häfen seltener kontrolliert. Außerdem müssen weniger konkrete Angaben zum Containerinhalt gemacht werden. In einem Bericht zur illegalen Fischerei in den Gewässern Westafrikas kamen Wissenschaftler im Jahr 2016 zu dem Schluss, dass 84 Prozent aller offiziellen und inoffiziellen Fänge in westafrikanischen Gewässern in Gefriercontainern eingelagert wurden und die Region über einige wenige Häfen verließen – zum Beispiel Richtung Spanien.
Das PSMA-Übereinkommen regelt unter anderem, welche Informationen und Dokumente eine Hafenbehörde abfragen sollte, wenn ein (Kühl-)Schiff um Einfahrt­erlaubnis bittet. Außerdem schreibt es Kontrollen an Bord sowie einen engen Informationsaustausch zwischen allen verantwortlichen Stellen vor. Dazu gehören, neben allen nationalen Behörden des jeweiligen Küstenstaates, die Regierung jenes Staates, unter dessen Flagge das ­entsprechende Schiff fährt, die zuständigen Regionalen Organisationen für das Fischereimanagement sowie ­internationale Institutionen wie die FAO. Richtig umgesetzt, so die Expertenmeinung, könne das PSMA-Übereinkommen der systematischen, großangelegten illegalen Fischerei ein Ende bereiten, weil es die Anlandung und den Weitertransport illegaler Fänge verhindere.
Für mehr Transparenz wird dabei auch ein neues Webportal zu den Aufenthaltsorten großer Kühl- und Fabrikschiffe (englischer Originaltitel: Carrier Vessel Portal) sorgen, welches im Sommer 2020 online gegangen ist. Auf dem Portal, welches Positions- und Satellitendaten kombiniert und von der Umweltschutzorganisa­tion Global Fishing Watch betrieben wird, können registrierte Nutzer zum Beispiel die Fahrtrouten der Industrieschiffe analysieren oder herausfinden, welche Häfen von diesen besonders häufig angelaufen werden. Die Schiffsnamen können sie dann abgleichen mit Positiv- und Negativlisten, die mittlerweile von mehreren regionalen Fischereibehörden veröffentlicht werden.
Größere Verantwortung im Kampf gegen illegale Fischerei müssen nach Auffassung der FAO auch die Flaggenstaaten übernehmen. In einem entsprechenden Richtlinienkatalog (englischer Originaltitel: FAO Voluntary Guidelines for Flag State Performance) fordert sie alle Nationen auf, internationales Recht zu respektieren, auf die Einhaltung aller nationalen und internationalen Fischereivorschriften zu achten, ihren Kontrollpflichten nachzukommen, illegale Aktivitäten der eigenen Fischereiflotte strafrechtlich zu verfolgen sowie entsprechende Informationen mit nationalen und internationalen Institutionen zu teilen und enger zusammenzuarbeiten. Auf diese Weise soll beispielsweise verhindert werden, dass Fischer, denen kriminelle Machenschaften nachgewiesen werden konnten, ihre alte Schiffsregistrierung löschen lassen, um sich im Anschluss bei einem weniger restriktiven Staat neu anzumelden. Flaggenspringen (englisch: flag hopping) wird diese Art, sich dem Gesetz zu entziehen, genannt. Die FAO besitzt aber keine Handhabe, Flaggenstaaten zur Umsetzung der Vorgaben zu zwingen, denn noch erfolgt deren Implementierung auf freiwilliger Basis. Gleiches gilt für FAO-Richtlinien zur Fischfang-Dokumentation, die Staaten, Fischereiorganisationen und andere Akteure befähigen sollen, transparente Lieferketten zu etablieren, sodass jederzeit überprüfbar ist, ob Fischereiprodukte jeglicher Art aus legalen Fängen stammen.

Verbrecherjagd mit Satelliten und Positionsdaten

Fischern ihre illegalen Aktivitäten nachzuweisen, scheiterte bislang an der Weite des Ozeans und den vielerorts fehlenden Mitteln für Personal und Ausrüstung. Diese Überwachungslücken können inzwischen mithilfe moderner Satelliten- und Positionstechnik geschlossen werden – wie, das zeigt ein im Juni 2020 erschienener Bericht zweier auf Fischereibelange spezialisierter Umweltschutzorganisationen. Sie haben Funk- und Satellitendaten aus dem Arabischen Meer (nordwestlicher Teil des Indischen Ozeans) ausgewertet und dabei herausgefunden, dass allein in der Fischfangsaison 2019/20 mehr als 110 iranische Fischereischiffe in die Hoheitsgewässer Somalias und Jemens eingedrungen waren und dort verbotenerweise ihre Netze ausgeworfen hatten. Fischer aus Indien, Pakistan und Sri Lanka taten es ihnen gleich, wenn auch in deutlich geringerer Zahl.
Abb. 3.14 © Global Fishing Watch

3.14 > Die grünen Linien auf dieser Karte des Arabischen Meeres repräsentieren die Fischfangrouten von 175 iranischen Schiffen, die zwischen dem 1. Januar 2019 und dem 14. April 2020 im Arabischen Meer fischten. Mehr als 110 von ihnen drangen dabei auf illegale Weise in die Hoheitsgewässer Somalias und Jemens ein.

Hinweise auf illegale Fischzüge in somalischen Gewässern gab es schon lange. Das genaue Ausmaß des Verbrechens aber wurde erst jetzt deutlich, nachdem Wissenschaftler gezielt nach Hinweisen suchten. Erleichtert wurde ihre Arbeit durch den Umstand, dass mittlerweile immer mehr Schiffe auf der Welt mit einem Automatischen Identifikationssystem (AIS) ausgerüstet sind. Dieses System wurde einst entwickelt, um Schiffskolli­sionen zu vermeiden und ist mittlerweile auf allen größeren Schiffen (Bruttoraumzahl 300 und größer) vorgeschrieben. Es sendet alle paar Sekunden die Positionskoordinaten, den Kurs, die Geschwindigkeit sowie alle drei Minuten die Grunddaten eines Schiffes, sodass Seefahrer in der näheren Umgebung rechtzeitig Bescheid wissen und ihren Kurs anpassen können.
War die Datenübertragung ursprünglich nur für den direkten Kontakt zwischen Schiffen gedacht, so werden die AIS-Signale heutzutage auch von Funkmasten und Satelliten empfangen und in Datenzentren gesammelt. Fischereibeobachter auf der ganzen Welt können auf diese Weise in Echtzeit die Routen größerer Fischereifahrzeuge (über 24 Meter Länge) verfolgen und sind nun deutlich besser in der Lage, die Gesamtzahl der im Einsatz befindlichen Schiffe abzuschätzen. Fischereifahrzeuge mit einer Gesamtlänge von weniger als 24 Metern haben in der Regel kein AIS an Bord. Nach Angaben der FAO konnten anhand von AIS-Daten im Jahr 2017 rund 60 000 Fischereifahrzeuge lokalisiert und identifiziert werden. Nur 20 000 von ihnen waren zu diesem Zeitpunkt in öffentlich zugänglichen Registern gelistet.

Abb. 3.15 l. VIIRS Satellitenaufnahme von LAADS DAAC, NASA Worldview

3.15 > Greller Lichtschein auf Satellitenaufnahmen vom 25. September 2019 verrät die chinesische Kalmarfangflotte vor der Küste Nordkoreas. Die nordkoreanischen Fischer weichen derweil auf russische Gewässer aus. Da sie im Vergleich zu den Chinesen in geringerem Maß Locklampen benutzen, leuchten ihre Schiffe auf den Aufnahmen weniger hell.

Abb. 3.15 r. nach Urbina, 2020

Eine Kontrolle der Fischereiflotten mithilfe von AIS kann aber nur gelingen, wenn die Systeme auch angeschaltet bleiben. Chinesischen Fischern etwa konnte in den zurückliegenden Jahren wiederholt nachgewiesen werden, dass sie die Positionssysteme ihrer Schiffe bewusst ausschalten, um ihren Aufenthaltsort zu verschleiern. So fischten im Jahr 2019 bis zu 800 Schiffe verbotenerweise vor der Küste Nordkoreas nach Pazifischen Kalmaren (Todarodes pacificus). Global Fishing Watch kam der Flotte nur deshalb auf die Spur, weil der helle Lichtschein der Schiffe auf Satellitendaten zu erkennen war. Für die Kalmarfischerei hängen die Fischer Stangen mit bis zu 700 Glühbirnen über das Wasser. Ihr Licht lockt die Tiere an die Meeresoberfläche. Die Bestände des beliebten Tintenfisches sind seit 2003 um 70 Prozent eingebrochen. Die Gründe dafür liegen auf der Hand, seitdem bekannt ist, mit welcher Intensität China dieser Art Jahr für Jahr aufs Neue nachstellt.
Wegen solcher Vergehen, fehlender Transparenz, einer Vernachlässigung seiner Pflichten als Flaggenstaat und vieler anderer Versäumnisse im Kampf gegen illegale Fischerei gilt China als der am schlimmsten agierende Küstenstaat der Welt, gefolgt von Taiwan, Kambodscha, Russland und Vietnam. Die besten Bilanzen weisen mit Belgien, Lettland, Estland, Finnland und Polen allesamt europäische Länder auf.

Das gesamte Ökosystem im Blick

Während Chinas Fischereiflotte regelmäßig Negativ-schlagzeilen macht, gibt es aber auch hoffnungsvolle Nachrichten. Die FAO beispielsweise sieht zunehmende Belege dafür, dass überall dort, wo Fischbestände gut überwacht und Fangquoten eingehalten werden, sich einst überfischte Populationen durchaus wieder erholen können. Eines dieser Positivbeispiele betrifft den Atlantischen Menhaden (Brevoortia tyrannus), auch Bunker genannt, aus der Familie der Heringe.
Der Schwarmfisch gilt als Schlüsselglied im Nahrungsnetz entlang der nordamerikanischen Atlantikküste. Er steht nämlich auf der Beuteliste aller größeren Räuber. Buckelwale, Delfine und Seevögel stellen ihm ebenso nach wie Thunfische, Felsenbarsche (Morone saxatilis) und Blaufische (Pomatomus saltatrix) – allesamt hoch­preisige und begehrte Speisefische. Gleichzeitig wird Menhaden im großen Stil befischt, um ihn zu Fischmehl zu verarbeiten, welches als Futtermittel in der Landwirtschaft und in Aquakulturanlagen eingesetzt wird. Er dient als Köderfisch und wird für die Herstellung von Fischöl verwendet.
Von keinem anderen Fisch entlang der nordamerikanischen Ostküste werden in jedem Jahr so große Mengen gefangen wie von dieser Spezies. Bis vor zehn Jahren erfolgte diese Fischerei nahezu unkontrolliert, weshalb die Bestände stark zurückgingen. Um den Abwärtstrend zu stoppen, führte die zuständige Fischereibehörde im Jahr 2012 Fangquoten ein, kontrollierte deren Einhaltung streng und ließ die Bestände durch ein aufwendiges wissenschaftliches Begleitprogramm überwachen. Seitdem wachsen die Heringsschwärme wieder, was dazu geführt hat, dass sich das Ökosystem entlang der Ostküste der USA spürbar verändert hat, auch zugunsten des Menschen. Buckelwale folgen den Heringsschwärmen mittlerweile regelmäßig bis in den Hafen von New York, wo vor allem die Tourismusbranche profitiert, weil Einheimische und Besucher die Meeressäuger sehen wollen. Im US-Bundesstaat Maine gibt es nun wieder ausreichend Köderfische für die Hummerfischerei.
Im August 2020 ging die zuständige Fischereibehörde dann noch einen Schritt weiter: Gedrängt von Wissenschaftlern, Vogelkundlern, Fischern und Umweltschützern beschloss sie einstimmig, künftige Fangquoten nicht mehr allein danach auszurichten, wie groß die Herings­bestände grundsätzlich sein müssen, damit sie sich erneuern können (Ein-Arten-Management) –, sondern auf ein Mehr-Arten-Management zu setzen und auch die Bedürfnisse der Meeresräuber zu berücksichtigen, hier vor allem jene der Felsenbarsche. Der neue Leitsatz lautet, dass Fischer nur noch so viele Heringe entnehmen dürfen, dass die Felsenbarsche genügend Futter finden, um sich ihrerseits wieder so stark zu vermehren, dass die Bestände gesunden. Die Raubfische dienen demzufolge als sogenannter ökologischer Referenzpunkt.
Abb. 3.16 nach Mac­fadyen et al., 2019

3.16 > Basierend auf 40 Indikatoren haben Fischereiexperten für alle 152 Küstenstaaten der Welt einen Index berechnet, der besagt, in welchem Maß jedes Land illegale und nicht berichtete Fischerei erlebt und diese bekämpft. Je höher der Index ausfällt und je länger die einzelnen Fischgräten in der Grafik sind, desto schlechter agiert die Nation im Kampf gegen illegale Fischerei.

Tiefseefischerei
Als „Tiefseefischerei“ bezeichnet man im Allgemeinen die Fischerei auf Hoher See in einer Tiefe von 200 bis 2000 Metern. Zum Einsatz kommen dabei vornehmlich Schleppnetze.

Hinter diesem Konzept verbirgt sich der Grundgedanke, bei der Berechnung der Fangquoten die Gesundheit, die Produktivität sowie die Widerstandskraft des gesamten Ökosystems zu berücksichtigen, einschließlich der Bedürfnisse all jener Meereslebewesen, die auf die jeweilige Fischart angewiesen sind. Fachleute bezeichnen diesen Leitgedanken auch als ökosystemaren Ansatz (englisch: ecosystem approach). Im Gegensatz zu früheren Konzepten des Fischereimanagements zielt dieser Ansatz nicht auf eine einzelne Art, einen Sektor oder eine Problemstellung ab. Stattdessen werden die Verantwortlichen dazu angeleitet, die vielen Verbindungen und Wechsel­wirkungen innerhalb mariner Lebensgemeinschaften zu beachten und zu untersuchen, auf welche Weise menschliche Eingriffe diese verändern. Fischereimanagement mit ökosystemarem Ansatz zeichnet sich dadurch aus, dass:
  • es auf den Schutz des Ökosystems, seiner Strukturen, Funktionen und Prozesse abzielt;
  • es die Beziehung zwischen begehrten Zielarten wie Heringen und jenen Arten, die weniger oder kaum von Interesse sind, berücksichtigt;
  • es beachtet, dass die Gesundheit des Meeres auch von Prozessen an Land und in der Luft abhängt und Land, Ozean und Atmosphäre als Systeme eng miteinander verbunden sind;
  • bei seiner Konzeption sowohl ökologische als auch soziale, institutionelle und wirtschaftliche Sicht­weisen bedacht werden müssen – und inwiefern ­diese sich gegenseitig beeinflussen;
  • es nicht nur die Folgen der Fischerei für das jeweilige Ökosystem berücksichtigt, sondern die Folgen aller menschlichen Aktivitäten und somit auch den Klimawandel mit einbezieht.
Empfehlungen zur Umsetzung dieses Ansatzes hatte die FAO bereits im Jahr 2003 erarbeitet. Seitdem haben ihn zumindest die meisten fischenden Industrieländer sowie ein Großteil der regionalen Fischereiorganisationen übernommen und ihre regionalen und nationalen Regelwerke entsprechend angepasst.
Bei der Umsetzung aber kann nach Meinung von Fischereiexperten noch viel verbessert werden. Dazu bedarf es nicht nur eines politischen Willens, sondern unter anderem auch mehr wissenschaftlicher Daten zu allen Aspekten der Fischerei. Vorreiter sind hier bislang die USA, die viel Zeit und Geld in das Monitoring ihrer Fischbestände investieren. Erfolgreiches Fischereimanagement, so zeigt die Erfahrung, bezieht außerdem alle relevanten oder aber betroffenen Interessengruppen in Entscheidungsprozesse mit ein. Die lokale Küstenbevölkerung muss ebenso zu Wort kommen wie Unternehmensvertreter, Wissenschaftler, Behördensprecher, Umweltschützer und Repräsentanten anderer Sektoren, die durch die Fischerei beeinflusst werden. Wie erfolgreich eine solche Kooperation auf allen Ebenen sein kann, zeigen die mittlerweile wieder großen Schwärme des Atlantischen Menhadens.

Mehr Schutz für die Hohe See

Abb. 3.17 Tan Dao Duy/Getty Images

3.17 > Fischer in der vietnamesischen Provinz Phú Yên legen ein Netz um einen Schwarm Anchovis. Die Küstenregion ist bekannt für ihre Anchovis­fischerei. Die Abermillionen gefangener Schwarmfische werden in erster Linie zu Fischsauce verarbeitet.

Wirksame Schutzmaßnahmen einzelner Nationen beschränken sich zumeist auf die Küstenmeere innerhalb der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) des jeweiligen Staates. An deren Außengrenze jedoch beginnen die internationalen Gewässer – offiziell auch Hohe See genannt. In diesem Gebiet ist es grundsätzlich jedermann erlaubt zu fischen. Von diesem Recht hat in den zurückliegenden Jahrzehnten eine relative kleine Anzahl von Staaten in zunehmendem Maß Gebrauch gemacht; etwa weil die eigenen Küstengewässer überfischt waren, die Nachfrage und der Verkaufspreis von Fisch gestiegen sind, technische Innovationen die Hochseefischerei erleichtern oder aber Regierungen diese Fischereiaktivitäten subventionieren und damit zu einem gewinnbringenden Geschäft machen. Die zehn führenden Fischereinationen der Hohen See sind China, Taiwan, Japan, Indonesien, Spanien, Südkorea, die USA, Russland, Portugal und Vanuatu.
In welchen Meeresgebieten deren Flotten jedoch tatsächlich ihre Netze auswerfen, wird erst seit Einführung automatischer Schiffsinformations- und Überwachungs­sys­teme nachvollziehbar. In einer globalen Analyse der Hochseefischerei waren Wissenschaftler im Jahr 2016 in der Lage, die Fahrtrouten von mindestens 3620 Fischereischiffen, 35 Tankschiffen und 154 Kühlschiffen nachzuverfolgen. Weit mehr als drei Viertel von ihnen kamen aus China, Taiwan, Japan, Spanien und Südkorea. Die Fisch­züge erstreckten sich über eine Fläche von 132 Millionen Quadratkilometern und betrafen damit rund die Hälfte des Gebietes der Hohen See. Schiffe, spezialisiert auf den Fang von Tintenfisch, fischten besonders intensiv an der Grenze zu den Hoheitsgewässern Perus, Argentiniens und Japans. Tiefseefischer wiederum konzentrierten sich auf die Region um die Georges Bank im Nordwestatlantik, auf Gebiete im Nordostatlantik sowie in kleinerem Maß auf den zentralen und westlichen Pazifik. Im Durchschnitt verbrachte ein jedes der beobachteten Schiffe 141 Tage auf See, bevor es wieder einen Hafen anlief.
Welchen Schaden der zunehmende Fischereidruck in internationalen Gewässern verursacht, ist nur schwer zu beurteilen. Zum einen fehlen für viele Arten glaubwürdige Bestands- und Reproduktionszahlen – insbesondere für Tiefseearten. Zum anderen ist vielerorts unklar, wie viel Fisch die Hochseeflotten tatsächlich fangen. Nach Angaben von Sea Around Us stammten im Jahr 2018 schätzungsweise drei Prozent der weltweiten Fänge aus Gebieten auf Hoher See.
Um die Überfischung verschiedener internationaler Gewässer einzudämmen und Ressourcenkonflikte zu vermeiden, sind viele Nationen mittlerweile Regionalen Organisationen für das Fischereimanagement (RFMOs) beigetreten. Als solche entwickeln sie gemeinschaftliche Vorschriften und Regeln für die Fischerei in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich und sind auch für deren Einhaltung verantwortlich. Die FAO spricht ihnen daher eine führende Rolle beim Schutz und Management der natürlichen Bestände zu – insbesondere auch deshalb, weil es den RFMOs obliegt, zu entscheiden, ob freiwil­lige Richtlinien oder Handlungsempfehlungen der FAO im jeweiligen RFMO-Bereich angewandt werden oder nicht. Ob die einzelnen RFMOs tatsächlich den ihnen zugeschriebenen Rollen des Bestandswächters und -beschützers gerecht werden, lässt sich nicht wirklich sagen. Zwar werden mittlerweile regelmäßig Begutachtungen und Befragungen der Organisationen durchgeführt und deren Ergebnisse auch veröffentlicht. Eine aktuelle, auf wissenschaftlichen Standards basierende Bewertung aller RFMOs aber existiert nicht. Als Experten von Pew Charitable Trusts im Jahr 2019 die Arbeit dreier regionaler Fischereiorganisationen begutachteten, kamen sie unter anderem zu dem Ergebnis, dass alle drei Behörden
  • zu wenige der internationalen Richtlinien umgesetzt hatten – vor allem jene nicht, die auf ein Ende der Überfischung und eine Gesundung der Bestände abzielten;
  • zu viel Zeit benötigen, um neue, moderne Managementstrategien einzuführen, und
  • an der Aufgabe gescheitert sind, den Konsens ihrer Mitgliedsstaaten in wichtigen Kernfragen des Fischereimanagements herbeizuführen.
Abb. 3.18 nach Sala et al., 2018

3.18 > Die Hochseefischerei wäre in vielen Teilen der Welt ein Verlustgeschäft, würden die Fischereinationen ihre Fangflotten nicht mit geschätzten 4,2 Milliarden US-Dollar pro Jahr (Wert für das Jahr 2014) subventionieren. Diese Summe ist etwa doppelt so hoch wie die Gewinne, welche die Hochseefischer ohne Staatshilfen generieren würden. Ob sich die Fischerei auf Hoher See lohnt, hängt von den einzelnen Staaten, dem befischten Gebiet, den Zielarten und der Entfernung zum Hafen ab. Wie die Grafik belegt, würden aber vor allem südkoreanische, taiwanesische, chinesische und russische Fischer erhebliche Verluste machen, gäbe es nicht die staatliche Unterstützung.

Abb. 3.18 nach Sala et al., 2018

Kritiker der industriellen Hochseefischerei bezweifeln deshalb, dass sich die Bestände der Hohen See effektiv schützen lassen, solange wirtschaftliche und zum Teil auch strategische Interessen im Vordergrund stehen und Staaten ihre Hochseeflotten heutzutage mit mehr als 13 Milliarden US-Dollar pro Jahr subventionieren. Als Subventionen werden direkte und indirekte finanzielle Zuschüsse durch zumeist staatliche Institutionen bezeichnet, die dazu führen, dass die Fischereikosten sinken, mehr gefangen wird oder eine höhere Gewinnspanne erzielt wird. Dazu gehören unter anderem:
  • Zuschüsse für den Bau neuer Schiffe oder die Reparatur bereits im Einsatz befindlicher Fahrzeuge,
  • der staatlich finanzierte Neubau von Fischereihäfen oder aber die technische Aufrüstung bestehender Anlagen,
  • Steuererleichterungen für Fischereiunternehmen,
  • Programme zum Ausbau der Fischerei sowie
  • Preisnachlässe für Treibstoff.
Sofern Subventionen nicht an feste Vorgaben gebunden sind, führen sie in der Regel dazu, dass Fischer länger am Stück, intensiver im Ausmaß und auch weiter entfernt vom eigenen Heimathafen fischen. Schätzungen zufolge wird die Fischerei auf der ganzen Welt (Küsten- und Hochseefischerei) mit 14 bis 35 Milliarden US-Dollar subventioniert. Das heißt, mehr als ein Drittel der Kosten der Fischerei (35 Prozent) wird durch die Steuerzahler finanziert.
Bei der Analyse der globalen Hochseefischerei im Jahr 2016 beispielsweise stellte sich heraus, dass ohne die finanzielle Unterstützung der Regierungen die Fischzüge in mehr als der Hälfte der befischten Hochseegebiete wirtschaftlich unrentabel wären. Das heißt, ohne Subven­tionen würden viele konzertierte Aktivitäten, die einen besonders hohen Fischereidruck erzeugen, erst gar nicht stattfinden. Das gilt vor allem für die Schleppnetzfischerei in der Tiefsee und einen Großteil der Tintenfischjagd in internationalen Gewässern. Dennoch zahlen die Regierungen, wenn auch in unterschiedlichem Maß. Am stärksten subventioniert ist die Hochseefischerei Japans, gefolgt von Spanien, China, Südkorea und den USA. Erstaunlicherweise übertrifft bei allen genannten fünf Nationen die Summe der Zuschüsse bei Weitem die Einnahmen durch die Hochseefischerei. Wirklich profitabel sind nach Berechnungen der Wissenschaftler auf Hoher See nur die Jagd auf hochpreisige Raubfische wie Haie und Thunfische.
Abb. 3.19 plainpicture/Design Pics/Remsberg Inc

3.19 > Eine Austernfarm an der Küste des US-Bundesstaates Maryland. Die Zucht der Amerikanischen Auster ist streng reguliert. Wissenschaftler und Farmer arbeiten außerdem gemeinsam daran, die natürlichen Vorkommen des wichtigen Wasserfiltrierers zu restaurieren.

Bei der Analyse der globalen Hochseefischerei im Jahr 2016 beispielsweise stellte sich heraus, dass ohne die finanzielle Unterstützung der Regierungen die Fischzüge in mehr als der Hälfte der befischten Hochseegebiete wirtschaftlich unrentabel wären. Das heißt, ohne Subven­tionen würden viele konzertierte Aktivitäten, die einen besonders hohen Fischereidruck erzeugen, erst gar nicht stattfinden. Das gilt vor allem für die Schleppnetzfischerei in der Tiefsee und einen Großteil der Tintenfischjagd in internationalen Gewässern. Dennoch zahlen die Regierungen, wenn auch in unterschiedlichem Maß. Am stärksten subventioniert ist die Hochseefischerei Japans, gefolgt von Spanien, China, Südkorea und den USA. Erstaunlicherweise übertrifft bei allen genannten fünf Nationen die Summe der Zuschüsse bei Weitem die Einnahmen durch die Hochseefischerei. Wirklich profitabel sind nach Berechnungen der Wissenschaftler auf Hoher See nur die Jagd auf hochpreisige Raubfische wie Haie und Thunfische.
Wenn Fischerei auf Hoher See wissenschaftlichen Berechnungen zufolge unprofitabel ist, warum setzen die Nationen diese dann fort? Die Forscher vermuten, dass die Unternehmen am Ende doch Profit machen, indem sie zum Beispiel mehr Fisch fangen und verkaufen, als sie den Behörden offiziell melden. Zudem ließen sich die Kosten senken, indem zum Beispiel die Fänge bereits auf Hoher See auf Kühlschiffe verladen werden und die Zeit der Fischer auf See somit verlängert werden kann. Oder aber, indem die eigene Schiffsbesatzung unfair oder gar nicht bezahlt wird.
Länder wie China und Russland verfolgen mit der Hochseefischerei zudem auch außenpolitische Interessen. Als gutes Beispiel dienen hier die Fischzüge beider Nationen in antarktischen Gewässern. Ansprüche auf Ressourcen des Südpolarmeeres zu erheben und dort Präsenz zu zeigen, ist wichtiger als die Frage, ob sich diese Aktivitäten wirtschaftlich rentieren. Zu guter Letzt lohnen sich vermutlich auch vereinzelte Fischzüge in Regionen, die bislang gar nicht oder aber nur wenig befischt wurden.
Ein Negativbeispiel wäre hier abermals China, dessen Fischer zur Thunfischsaison im großen Stil an der Grenze zum Meeresschutzgebiet der Galapagosinseln ihre Netze und Fangleinen auswerfen. Im Sommer 2020 kreuzten in der ökologisch bedeutsamen Region 243 chinesische Schiffe – mehr als in jedem Jahr zuvor. Zur Flotte gehörten dabei auch Kühlschiffe für Verladungen auf Hoher See sowie Schiffe, die im Verdacht stehen, illegal zu fischen. Die einheimischen ecuadorianischen Fischer konnten dem Raubbau an der Natur nur machtlos zusehen. Sie selbst haben bei jedem Fischzug Kontrolleure an Bord, welche die Fänge überwachen und sicherstellen, dass seltene Arten verschont werden. Chinas Flotte aber agiert unter Ausschluss der internationalen Öffentlichkeit.
Als die ecuadorianische Küstenwache im Jahr 2017 ein chinesisches Kühlschiff innerhalb des Meeresschutzgebietes aufbrachte und dessen Container öffnete, entdeckten die Soldaten rund 6000 tiefgefrorene Haie, darunter gefährdete Arten wie Hammerhaie und Walhaie. Fälle wie diese untermauern: Ohne ein klares politisches Bekenntnis aller Beteiligten und die tatsächliche Umsetzung und Einhaltung aller Richtlinien und Abkommen bleiben die Schutzversprechen für die Ökosysteme der Hohen See nur leere Worte.

Ist Verzicht die einzige Lösung?

Kritiker der industriellen Fischerei fordern deshalb ein weltweites Umdenken der Konsumenten. Jedes gedankenlose Fischessen leiste einen Beitrag zum Ausverkauf der Meere, betonen Meeresschutzorganisationen. Ähnlich wie Fleisch sollte wild gefangener Meeresfisch deshalb in Industrienationen wie Deutschland zur Kostbarkeit werden und nur noch selten auf den Tisch kommen – und wenn doch, dann möglichst aus der nachhaltigen, regionalen Küstenfischerei stammen. Fisch, der vor seinem Verzehr einmal um den Erdball transportiert worden sei, trage wenig zu einer nachhaltigen Lebensweise bei, so die Argumentation.
Für die Bevölkerung in ärmeren Ländern sowie auf den pazifischen Inseln ist Fisch dagegen ein notwendiges Lebensmittel. Diese Menschen sind aufgrund fehlender preiswerter Alternativen auf Fisch als Eiweißquelle angewiesen. Damit die Weltmeere auch in Zukunft noch ausreichend Nahrung für die wachsende Weltbevölkerung liefern können, müssen daher die Fischressourcen fair verteilt werden – das heißt in erster Linie weniger Fisch und Meeresfrüchte für all jene, die es sich leisten und auf Alternativen zurückgreifen können. Nach Angaben der FAO verderben zudem immer noch 35 Prozent der Fischereiproduktion, weil Kühlketten und Hygienevorschriften nicht eingehalten werden, Produkte keine Käufer finden oder aber Kunden erworbene Erzeugnisse nicht essen. Besonders hoch ist die Abfallquote in Nordamerika sowie in Ozeanien, wo rund die Hälfte des gefangenen Fisches am Ende nicht verzehrt wird.
Andere Stimmen fordern, mindestens 30 Prozent aller Meeresgebiete unter Schutz zu stellen und direkte menschliche Eingriffe jeglicher Art in diesen Regionen zu verbieten, um den Lebensgemeinschaften der Meere einen Rückzugsraum zu bieten. Die Liste der nachgewiesenen Vorteile einer solchen Maßnahme ist lang. In Meeresschutzgebieten haben auch ehemals stark befischte Bestände eine gute Chance auf Gesundung. Die Artenvielfalt ist in der Regel hoch oder aber steigt nach der Unterschutzstellung. Viele Arten pflanzen sich zudem erfolgreicher fort, weil geschlechtsreife Tiere nicht gefangen oder Laichplätze am Meeresboden nicht durch Grundschleppnetze zerstört werden. Als Kindergarten oder sogenannte Samenbank tragen Meeresschutzgebiete außerdem dazu bei, dass angrenzende Meeresregionen wiederbesiedelt werden und sich die dort heimischen Bestände schneller erholen.
Überdies zeigen die Lebensgemeinschaften in Meeresschutzgebieten auch eine größere Widerstandskraft gegen die Folgen des Klimawandels, weshalb viele Umweltschützer und Wissenschaftler in ihnen die beste Lösungsstrategie sehen.
Der Fischhandel wiederum setzt auf Produkte aus zertifizierter, nachhaltiger Fischerei – beispielsweise aus Fischereien, welche die Kriterien des Marine Stewardship Council (MSC) erfüllen und von diesem zertifiziert wurden. In den zurückliegenden 20 Jahren hat der MSC rund 300 Fischereien sein blaues Nachhaltigkeitssiegel verliehen. Es ist das einzige international anerkannte Güte­zeichen für nachhaltige Wildfischfänge, wobei es in vielen Staaten auch nationale Zertifizierungs- oder Kontroll­verfahren für nachhaltige Fischereiprodukte gibt – in Deutschland beispielsweise Naturland Wildfisch, Followfish oder Dolphin Safe.
Fänge aus MSC-zertifizierter Fischerei oder jener, die gerade unter MSC-Begutachtung steht, machen mittlerweile 15 Prozent der offiziellen weltweiten Anlandungen aus. Die steigende Zahl der zertifizierten Fischereien belegt, dass der Kunden- und Händlerwunsch nach nachhaltig erzeugten Produkten Fischer zunehmend davon überzeugt, ihre Fischereiaktivitäten zu verbessern und sich diese Anstrengungen auch durch ein Siegel bestätigen zu lassen.
Viele der zertifizierten Fischereien mussten Anpassungen zugunsten des Meeresschutzes vornehmen, bevor sie das Siegel verliehen bekamen. Diese zielten vor allem darauf ab, direkte Folgeschäden der Fischerei für den Lebensraum Meer zu reduzieren. Unabhängige Expertenbegutachtungen haben gezeigt, dass MSC-zertifizierte Fischbestände nicht nur eine hohe Biomasse aufweisen, sondern dass die Bestände nach der Zertifizierung auch gewachsen sind.
Abb. 3.20 Science Museum/SSPL/Süddeutsche Zeitung Photo

3.20 > Die Schneekrabbe zählt in Japan zu den wichtigsten Zielarten der Fischerei. Wissenschaftler überwachen ihre Bestände daher auch mit jährlichen Forschungsfängen und dazugehörigen Bestandsmodellierungen.

Experten warnen jedoch davor, diese positive Entwicklung als Beleg für eine flächendeckende Besserung der weltweiten Fischereipraktiken zu deuten. Als Allzweckwaffe im Kampf gegen Überfischung eignet sich eine MSC-Zertifizierung auch nicht. Zum einen sind der Aufwand und die Kosten des Verfahrens so hoch, dass sich vor allem kleinere Fischereien diesen Prozess wirtschaftlich nicht leisten können. Zum anderen geht Umweltschützern das MSC-Reglement nicht weit genug. Bis vor Kurzem erlaubte es zertifizierten Fischereien zum Beispiel, auf ein und demselben Fischzug sowohl nachhaltige als auch althergebrachte, als zerstörerisch geltende Fangtechnik wie Grundschleppnetze einzusetzen, ohne dass das Unternehmen sein Zertifikat verlor. Umweltschützer werfen dem MSC außerdem vor, Beweise zu ignorieren, wonach zertifizierte Unternehmen in den Handel mit Haifischflossen involviert seien oder aber entgegen der MSC-Vorschriften Delfinschulen einkreisten, um die von den Meeressäugern gejagten Thunfischschwärme zu erbeuten. Bei solchen Fischzügen stirbt in der Regel eine große Anzahl der Delfine.
Um solche Praktiken in Zukunft zu verhindern, hat ein Zusammenschluss von Umweltschutzorganisationen eine Liste von 16 Kernforderungen beim MSC einge­reicht – in der Hoffnung, dass diese bei der aktuellen Überarbeitung des MSC-Regelwerkes berücksichtigt werden. Dazu gehören unter anderem die Forderung, sicherzustellen, dass

  • der ökologische Fußabdruck der gesamten Fischereiaktivitäten eines zertifizierten Unternehmens bewertet wird – auch die nicht zertifizierten Anteile;
  • die Fischer keine nicht zertifizierten Fangtechniken mehr einsetzen dürfen, die beispielsweise zu unnötigem Beifang führen;
  • alle gefangenen Fischarten, auch jene im Beifang, den Nachhaltigkeitskriterien unterliegen und ein Überfischen verboten ist;
  • MSC-zertifizierte Fischer in Meeresregionen mit besonders empfindlichen Lebensgemeinschaften keine Grundschleppnetze mehr einsetzen dürfen.
Abb. 3.21 © Arno Gasteiger, www.arno.co.nz

3.21 > Bei der Grundnetzfischerei in der Tiefsee lässt sich schwer vorhersagen, welche Arten im Netz landen. Hier ist eine kleine Auswahl an Lebewesen zu sehen, die neuseeländischen Wissenschaftlern bei Kontrollfängen in 1200 Meter Tiefe in das Netz gegangen sind.

Ob der MSC diese Empfehlungen berücksichtigen wird, bleibt abzuwarten.
In Küstengebieten, wo Fischfang nur durch einheimische Fischer betrieben wird, hat es sich vielerorts ausgezahlt, die lokalen Akteure in Managemententscheidungen einzubeziehen und ihnen die Verantwortung für die Umsetzung und Überwachung der gemeinsam festgelegten Regeln zu geben. Dieser Stewardship- oder Co-Managementansatz setzt darauf, dass Fischer nachhaltiger mit den Ressourcen des Meeres umgehen, wenn sie das alleinige Nutzungsrecht und damit auch ein starkes Eigeninteresse am Schutz der marinen Ökosysteme haben.
Solche gemeinschaftsbasierten Managementansätze aber funktionieren nur dort, wo die Zahl der beteiligten Akteure klein ist, ihre gemeinschaftliche Geschlossenheit groß, allesamt dieselben Interessen verfolgen und individuelle Nutzungsrechte nicht an Investoren weiterverkauft werden dürfen. Doch selbst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, bedarf es einer staatlichen Kontrolle. Etwaige Lösungsansätze müssen zudem an die lokalen Gegebenheiten angepasst werden. Die Erfahrung zeigt: Wer versucht, ein und dieselbe Managementstrategie überall anzuwenden, ist zum Scheitern verurteilt.
Die FAO betonte in ihrem 2020 erschienenen Fischereibericht, dass angesichts der steigenden Zahl überfischter Bestände das Ziel, die Überfischung der Meere bis zum Jahr 2020 zu beenden, verfehlt wurde. Die Staatengemeinschaft sei daher aufgefordert:
  • einen stärkeren politischen Willen zu zeigen, vor allem auf nationaler Ebene;
  • in den Ausbau des Fischereimanagements zu investieren;
  • den Technologie- und Wissenstransfer voranzutreiben, insbesondere im Hinblick auf wissenschaftsbasiertes Fischereimanagement;
  • die Fischereiaktivitäten auf ein Niveau zu begrenzen, welches die Reproduktion der Fischbestände nicht gefährdet;
  • auf das Kaufverhalten der Konsumenten einzuwirken, etwa durch Informationskampagnen oder aber wirksames Marketing sowie
  • die globalen Fischerei- und Meeresbeobachtungssys­teme auszubauen und alle erhobenen Daten zeitnah und transparent der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.
Die Entwicklung in den zurückliegenden Jahrzehnten habe gezeigt, so die FAO, dass der Fischereidruck vor allem in jenen Meeresregionen abgenommen habe, wo Regelwerke umgesetzt und deren Einhaltung überwacht worden seien. In Argentinien, Chile und Peru beispielsweise sei die Zahl der überfischten Bestände von 75 Prozent im Jahr 2000 auf 45 Prozent in 2011 gesunken. In den USA seien heutzutage nur noch halb so viele Bestände überfischt wie im Jahr 1997.
Weitere Erfolge habe es außerdem in den Gewässern Islands und Norwegens gegeben, in der Krabben-Tauchfischerei Chiles, die auf einheimische Fischer beschränkt wurde, in den Gewässern des Korallendreiecks sowie in den Gewässern Japans, wo sich die einst überfischten Populationen der Schneekrabbe (Chionoecetes opilio) erholt hätten.
In Gebieten ohne funktionierendes Fischereimanagement aber, sagt die FAO, sei die Lage der Fischbestände desolat. Hier würden im Vergleich zu intensiv überwachten Meeresregionen etwa dreimal mehr Fische gefangen. Die Bestände seien zudem oft nur halb so groß und meist in einem sehr schlechten Zustand. Die Erfolge, zu denen nachhaltiges Fischereimanagement in einigen Ländern mittlerweile führe, reichten aus diesem Grund nicht aus, um den globalen Abwärtstrend der Meeresfischbestände zu stoppen. Daher sei es dringend erforderlich, global voneinander zu lernen, Wissen über erfolgreiches und effektives Fischereimanagement zu teilen, Lösungsansätze den lokalen Gegebenheiten entsprechend auszuwählen und in enger Kooperation mit der einheimischen Bevölkerung umzusetzen. Textende

Wachstumssektor Aquakultur

> Fast die Hälfte aller weltweit verspeisten Fischereiprodukte stammt mitt- lerweile aus Aquakulturhaltung, wobei nur jeder dritte Fisch oder Krebs im Meer aufgewachsen ist. Der Rest wurde in Süßwasseranlagen gezüchtet. Experten sagen der Nahrungsmittelproduktion im Meer dennoch eine große Zukunft voraus – vorausgesetzt, es gelingt, Nachhaltigkeitskonzepte umzu- setzen und den Umweltfußabdruck der Teich- und Käfighaltung deutlich zu verringern. Ideen, wie das gelingen könnte, gibt es viele.

Nahrung aus Teichen und Käfigen

Die Bedeutung der Aquakultur hat in den zurückliegenden 20 Jahren enorm zugenommen. Stammte im Jahr 2000 gerade mal ein Viertel aller Fischereiprodukte aus Aquakulturanlagen, ist es heutzutage fast die Hälfte. Damit stellt die Aquakulturhaltung den am schnellsten wachsenden Sektor der Nahrungsmittelherstellung dar. Im Jahr 2018 wurden nach Angaben der FAO auf der ganzen Welt 114,5 Millionen Tonnen Fisch, Algen und Meeresfrüchte mit einem Marktwert von 263,6 Milliarden US-Dollar in Aquakultur produziert – mehr als jemals zuvor. Der Anteil aquatischer Tiere belief sich dabei auf 82,1 Millionen Tonnen; die Produktion der Algen summierte sich auf 32,4 Millionen Tonnen.
Etwa zwei Drittel der weltweit gezüchteten Fische, Krabben, Muscheln und anderen Organismen stammten aus Seen, Teichen oder Süßwasseranlagen an Land. In Küsten- und mariner Aquakultur, dazu gehören Salzwasserteiche entlang der Küste und Käfige in Küstengewässern, wurden im Jahr 2018 insgesamt 30,8 Millionen Tonnen Tiere produziert. Der überwiegende Teil davon waren Muscheln (56,2 Prozent; 17,3 Millionen Tonnen). Die Gesamtmenge der im Meer gezüchteten Flossenfische betrug 7,3 Millionen Tonnen; die Produktion der Krebstiere belief sich auf insgesamt 5,7 Millionen Tonnen.
Zuwächse wie diese haben weltweit die Hoffnung geweckt, dass die Zucht von Fisch und Meeresfrüchten in Aquakultur eine Lösung sein könnte, die wachsende Weltbevölkerung auch in Zukunft noch mit ausreichend tierischem Eiweiß versorgen zu können – und das mit einem deutlich geringeren Ressourceneinsatz und Treibhausgasausstoß als in der Tierzucht an Land. Im Gegensatz zu Schweinen, Rindern oder Ziegen verwenden Fische nämlich keine Energie für das Erzeugen von Körperwärme. Stattdessen geht ein Großteil der mit dem Futter aufgenommenen Kalorien direkt ins Wachstum, weshalb sich bei gleichem Futtereinsatz deutlich mehr Fisch- als Rind-, Schweine- oder Ziegenfleisch erzeugen lässt.
Optimistischen Berechnungen zufolge könnte auf weniger als 0,015 Prozent der Meeresfläche so viel Fisch in Aquakultur produziert werden, wie derzeit noch durch Wildfänge angelandet wird. Ließe man schützenswerte Meeresgebiete wie Korallenriffe sowie mögliche soziale, ökologische und ökonomische Bedenken zunächst einmal außer Acht, wäre die Fischzucht theoretisch auf über 11,4 Millionen Quadratkilometer Meeresfläche möglich; Muscheln könnten auf über 1,5 Millionen Quadratkilo­metern angebaut werden, argumentieren auf Aquakultur ­spezialisierte Biologen. Würde man all diese Fläche tatsächlich nutzen, ließen sich pro Jahr schätzungsweise 15 Milliarden Tonnen Fisch produzieren – fast 100-mal mehr als jene Menge Fisch und Meeresfrüchte, die Menschen bislang pro Jahr verspeisen.

Abb. 3.22 nach Gentry et al., 2017

3.22 > Die Fischzucht in Aquakultur ist ein Geschäftsfeld mit Wachstumspotenzial, wie dieser Vergleich zeigt. Würden alle Küstenstaaten der Welt ein Prozent ihrer geeigneten Küstengewässer für eine nachhaltige Fischzucht nutzen, würden sich die Produktionsmengen in den meisten Ländern vervielfachen. Ausgenommen davon sind China und Norwegen. Beide produzieren heute schon mehr Zuchtfisch im Meer, was auf intensive Aquakulturmethoden oder aber auf eine größere

Abb. 3.22 nach Gentry et al., 2017

Andere Wissenschaftler wiederum sehen sowohl die Steigerungsraten als auch das Wachstumspotenzial der Aquakultur kritisch. Nach ihrer Auffassung stammen die bisherigen Zuwächse in der FAO-Aquakulturstatistik vor allem aus inländischer Fischzucht in China, deren Zahlen als höchst fragwürdig gelten und eher provinzielle Planvorgaben darstellen als tatsächliche Produktion. Würde man die Statistik bereinigen, käme heraus, dass die marine Aquakultur ihren Zenit erreicht hätte und die Süßwasseraquakultur kaum noch wächst. Um Fisch und Meeresfrüchte als Proteinquelle für viele Menschen auch in Zukunft nachhaltig nutzen zu können, sollte vielmehr das oberste Ziel sein, die Meeresfischerei auf eine langfristig angelegte und nachhaltige Art und Weise zu betreiben. Stattdessen aber setzten die falsch informierten Politiker auf einen Ausbau der Aquakultur, dabei schade diese in bestimmten Bereichen sogar der Ernährungssicherheit. Etwa indem wild gefangene Speisefische wie Sardellen, Sprotten, Heringe und Makrelen zum Großteil nicht direkt konsumiert, sondern zu Fischfutter für Lachse und andere in Aquakulturhaltung gezüchtete Raubfische verarbeitet würden. Dabei werde dann mehr Fisch verfüttert, als am Ende im Verkauf lande, so die Kritiker.
Befürworter der Aquakultur entgegnen, dass Kritik an negativen Praktiken der Aquakultur durchaus berechtigt und wichtig sei. Sie dürfe jedoch nicht dazu führen, dass auch positive Vorhaben in Verruf gerieten und sich politische Entscheidungsträger übervorsichtig gegenüber ­neuen Aquakulturansätzen verhielten. In überfischten Regionen wie der Ostsee könnte nachhaltige Aquakultur durchaus dazu beitragen, die Situation von Fischern und Wildbeständen langfristig zu verbessern.
Fakt aber ist auch: Weniger als ein Drittel der in Aquakultur gezüchteten Fische und wirbellosen Tiere kommt mittlerweile ohne zusätzliches Futter aus. Damit ist ihr Anteil in den zurückliegenden 20 Jahren deutlich gesunken, allerdings bei Zunahme der Gesamtmenge der futterlos aufgezogenen Tiere auf 25 Millionen Tonnen. Zur Jahrtausendwende wurden noch 43,9 Prozent aller in Aquakultur gezüchteter Tiere ohne zusätzliches Futter aufgezogen. Mittlerweile sind es nur noch 30,5 Prozent, wobei der größte Teil davon Muscheln sind, die sich ihr Futter aus dem Meer- oder Brackwasser filtern.
Die Zucht von Fischen, Muscheln und Krebstieren in mariner Aquakultur oder küstennahen Salzwasserteichen wird mittlerweile rund um den Erdball betrieben. Die drei größten Meeresfischproduzenten sind China, Norwegen und Indonesien. Gemeinsam produzierten sie im Jahr 2018 mehr Flossenfische (3,8 Millionen Tonnen) als die gesamte restliche Welt (3,6 Millionen Tonnen). Die marine Krabben- und Krebstierzucht wird von China, Indonesien und Vietnam dominiert. Die marine Muschelzucht dagegen liegt fast ausschließlich in chinesischer Hand. Die Volksrepublik produzierte im Jahr 2018 rund 14,4 Millionen Tonnen Meeresmuscheln und damit fast siebenmal mehr als die restliche Welt zusammen.
Abb. 3.23 Adam ­Ferguson/NYT/Redux/laif

3.23 > Algenfarmer auf den Salomonen bringen frisch geerntete Großalgen an Land. Die Pflanzenzucht im Meer ist schwere körperliche Arbeit und für viele Küstenbewohner die einzige Einnahmequelle.

Die Zukunft gehört den Großalgen

China ist auch der führende Produzent von Großalgen und Seegräsern, deren weltweite Erntemenge sich in den zurückliegenden 20 Jahren nahezu verdreifacht hat. Die Algenzucht ist somit der am schnellsten wachsende Aquakultursektor. Waren es im Jahr 2000 noch 10,6 Millionen Tonnen Algen und Seegras, produzierten die vornehmlich in Ost- und Südostasien ansässigen Algenfarmen im Berichtsjahr 2018 schon 32,4 Millionen Tonnen. Mehr als 85 Prozent dieser Produktion wurde allein in China und Indonesien erzeugt.
Zwei Verkaufsschlager der Algenfarmer sind die tropischen Seegrasarten Kappaphycus alvarezii und Eucheuma spp., woraus Carrageen gewonnen wird, ein temperaturbeständiges Gelier- und Verdickungsmittel, welches in der Lebensmittel- und Kosmetikindustrie eingesetzt wird, etwa bei der Herstellung vegetarischer Brotbeläge. In der Europäischen Union ist es als Lebensmittelzusatzstoff und Dickungsmittel mit der Nummer E 407 zugelassen. Andere in Aquakultur gezüchtete Großalgen wie der Japanische Blatttang (Laminaria japonica) oder die Braunalge Wakame (Undaria pinnatifida) werden direkt als Nahrungsmittel verkauft und in der asiatischen Küche zum Beispiel als Suppeneinlage serviert. Produktionsreste oder minderwertige Algen werden in der Regel nicht entsorgt, sondern unter anderem als Futter in der Muschelzucht einge- setzt – ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu geschlossenen Nährstoffkreisläufen und mehr Nachhaltigkeit.
Da Großalgen und Seegräser sehr nährstoffreich sind und für ihre Aufzucht kein Dünger oder Futter benötigt wird, welche das Küstenwasser belasten könnten, gilt ihre Zucht als umweltfreundliche Methode der Lebensmittelproduktion. Aus diesem Grund interessieren sich mittlerweile auch Hersteller in anderen Regionen der Welt für die Algenzucht. Um den ökologischen Fußabdruck des Lebensmittelsektors jedoch zu verkleinern, müsste die Großalgenproduktion massiv ausgebaut werden. Wissenschaftler haben ein solches Szenario einmal durchgerechnet: Würde die Menschheit das Ziel verfolgen, nur ein Prozent aller Lebensmittel aus Algen zu produzieren, müssten 147-mal mehr Algen für den menschlichen Verzehr angebaut werden, als dies bislang der Fall ist.
Ähnliche oder sogar noch größere Mengen würden benötigt, sollten weitere Verwendungsideen für Groß­algen umgesetzt werden. Diskutiert wird zum Beispiel, unter welchen Voraussetzungen sich aus Rot- und Braun­algen Bioethanol und Biomethan herstellen ließen. Beide Erzeugnisse könnten fossile Rohstoffe ersetzen. Einige der Algen enthalten zudem Omega-3-Fettsäuren und könnten daher als Fischmehl- oder Fischölersatz in Aquakultur­anlagen eingesetzt werden. Studien in der Tierhaltung zeigen, dass Großalgen, an Rinder verfüttert, den Methan­ausstoß der Wiederkäuer senken. Als Düngemittel auf die Felder gebracht, erhöhen sie wiederum den Nährstoff­gehalt des Bodens.

Abb. 3.24 mauritius images/Ethan Daniels/Alamy

3.24 > Der Riesentang (Macrocystis pyrifera) bildet vor der Pazifikküste Nordamerikas dichte Kelpwälder. Die Braunalge wird bis zu 45 Meter lang und ist damit das größte fest am Boden verankerte Meeres­lebewesen der Welt.

Noch häufiger aber wird die Algenzucht mittlerweile im Zusammenhang mit der Frage diskutiert, wie es gelingen kann, der Atmosphäre auf natürliche Art und Weise große Mengen Kohlendioxid für lange Zeit zu entziehen. Die natürlich vorkommenden Großalgenwälder (auch Kelp­wälder genannt) der Welt binden durch ihre Photosynthese pro Jahr etwa 1,5 Milliarden Tonnen Kohlenstoff. Etwas mehr als ein Zehntel davon, geschätzte 173 Millionen Tonnen, werden am Standort im Meeresboden eingelagert oder in die Tiefsee transportiert und somit dem Kohlenstoffkreislauf der Erde entzogen. Die Kelpwälder leisten auf diese Weise einen wichtigen Beitrag zur Reduktion der Kohlendioxidkonzentration im Ozean und der Atmosphäre.
Das Klimapotenzial der bislang in Aquakultur gezüchteten Algen ist im Vergleich dazu eher gering. Hätte man zum Beispiel alle im Jahr 2014 geernteten Großalgen aus Aquakultur (Gesamtmenge 27,3 Millionen Tonnen) nicht verarbeitet, sondern stattdessen in der Tiefsee versenkt, wären dem System lediglich 0,68 Millionen Tonnen Kohlenstoff entzogen worden – also nur 0,4 Prozent dessen, was die natürlichen Kelpwälder leisten. US-amerikanische Wissenschaftler haben jedoch in einer Studie herausgefunden, dass eine industrielle Aufzucht von Großalgen auf einer Meeresfläche von 48 Millionen Quadratkilometern möglich wäre. Das entspricht ungefähr der fünffachen Fläche der USA. Diese vollständig für die Algenzucht zu nutzen, würde nach Ansicht der Forscher vermutlich am Aufwand und an den Kosten scheitern. Regional aber kann die Zucht von Großalgen als Maßnahme zur Kohlenstoffbindung und -einlagerung durchaus Sinn machen – zumal die Großalgen während ihres Wachstums auch dazu beitragen, dass der pH-Wert des Wassers sinkt und sein Sauerstoffgehalt steigt, solange die Algen nicht absterben und von Mikroorganismen wieder zersetzt werden.
Auf lange Sicht aber wird selbst eine intensivere Algenzucht allein nicht ausreichen, um die Erderwärmung aufzuhalten. Während nämlich die Kelpwälder der Welt dem Klimasystem der Erde rund 173 Millionen Tonnen Kohlenstoff pro Jahr entziehen, fügte der Mensch durch das Verbrennen von Kohle, Erdöl und -gas allein im Jahr 2019 rund zehn Milliarden Tonnen hinzu. Um diese Menge aufzunehmen und zu speichern, bräuchten die Kelp­wälder rund 60 Jahre. Nichtsdestotrotz gilt es, das enorme Potenzial der Algenzucht besser zu nutzen. Sinnvoll geplant und umgesetzt, könnten durch eine groß­flächige Algenzucht das Klima geschützt, die Nahrungs­sicherheit verbessert, neue nachhaltige Rohstoffquellen erschlossen und die Lebensbedingungen für Meeresorganismen verbessert werden.

 

Fischmehl und Fischöl
Fischmehl ist ein eiweißhaltiges, mehlartiges Produkt, welches hergestellt wird, indem ganze Fische oder Fischreste getrocknet und anschließend fein gemahlen werden. Für Fischöl dagegen wird gekochter Fisch ausgepresst und die dabei austretende Flüssigkeit in ihre Bestandteile getrennt.

Die Schattenseiten der Aquakultur

Der Ausbau und die Intensivierung der Aquakultur in Küstengewässern bergen eine Reihe von Gefahren für die Ökosysteme des Meeres, insbesondere bei der Aufzucht von Tieren. In Südostasien beispielsweise wurden im Zeitraum von 2000 bis 2012 rund 100 000 Hektar wertvoller Mangrovenwälder abgeholzt. Fast ein Drittel des Waldes musste weichen, weil an seiner Stelle küstennahe Teiche für die Garnelenzucht angelegt wurden. In Indonesien betrug der Anteil der wegen Aquakultur abgeholzten Mangrovenflächen sogar fast 50 Prozent. In den gleichen Regionen waren bereits in den 1990er-Jahren viele Küstenabschnitte umgestaltet, um die devisenbringende Garnelenzucht auszubauen. Infolgedessen gingen zum einen die Wildfänge der tropischen Garnelen zurück, zum anderen landeten die lokalen Küstenfischer weniger Fisch an, denn mit den Mangrovenwäldern fehlte die natürliche Kinderstube für den Nachwuchs der Garnelen und Fische.
Der große Flächenverbrauch der küstennahen Aquakultur ist jedoch nur ein Problem von vielen. Das in den Anlagen zum Einsatz kommende Futter besteht zum Teil noch immer aus Fischmehl oder Fischöl, für deren Herstellung weltweit kleine Schwarmfische wie die Peruanische Sardelle (Engraulis ringens) oder der Atlantische Hering (Clupea harengus) überfischt werden. Nach Angaben der FAO wurden im Jahr 2018 rund 18 Millionen Tonnen gefangener Fisch zu Tierfutter verarbeitet. Diese Menge liegt weit unter dem Spitzenwert von mehr als 30 Millionen Tonnen im Jahr 1994, aber auch deutlich über dem Niedrigwert von 2014 (14 Millionen Tonnen). Kritiker dieser Futterproduktion haben ausgerechnet, dass heutzu­tage etwa 25 Prozent der gefangenen Schwarmfische zu Fischmehl und -öl verarbeitet werden. Auf diese Weise würden Fische, die in vielen Teilen der Welt vor allem von der ärmeren Bevölkerung gegessen werden, in Fischereiprodukte wie Lachsfilet umgewandelt, die sich am Ende nur der bessergestellte Teil der Gesellschaft leisten könne, sagen die Kritiker. Zur Lösung des globalen Ernährungsproblems könne die Zucht von Lachs, Wolfsbarsch & Co. nur dann beitragen, wenn Alternativen zu Fischmehl und Fischöl günstiger und von den Farmern großflächiger eingesetzt werden würden.

Abb. 3.25 Ryan Ball/Moment/Getty Images

3.25 > Die Riesengarnele (Penaeus monodon), auch bekannt als Schwarze Tigergarnele, führte lange Zeit die Liste der meistverkauften Zuchtgarnelen an. Mittlerweile ist sie auf Platz vier abgerutscht. Dennoch wurden im Jahr 2018 weltweit noch 750 000 Tonnen produziert.

Wird in marinen Aquakulturanlagen zu viel gefüttert, dann verschmutzt das Wasser in den Fjorden oder Küstengewässern nicht nur, es wird regelrecht überdüngt. Dies kann vielerorts zu einem verstärkten Algenwachstum und auch zur Entstehung sauerstoffarmer Zonen führen. Lange Zeit verabreichten Fisch- oder Garnelenfarmer rund um die ganze Welt auch unkontrolliert Antibiotika, um Krankheiten im viel zu dichten Tierbestand einzudämmen. Auf diese Art und Weise konnten sich unter anderem in den Garnelenteichen Südostasiens resistente Keime entwickeln, was am Ende dazu führte, dass regelrechte Epidemien in mehreren Wellen große Teile der asiatischen ­Garnelenproduktion vernichteten, vor allem Bestände der ertragreichen Riesengarnele (Penaeus monodon), auch bekannt als Schwarze Tigergarnele.
Um die Krankheitsausbrüche einzudämmen, wurde viel geforscht. Anstelle der Riesengarnele wachsen in den Zuchtteichen Südostasiens mittlerweile überwiegend Weißbeingarnelen (Litopenaeus vannamei). Außerdem ist es gelungen, Garnelen zu züchten, die gegen die Keime resistent sind, sodass der Medikamenteneinsatz weitestgehend reduziert werden konnte. In vielen norwegischen Lachskäfigen schwimmt mittlerweile auch eine bedeutende Zahl an Seehasen. Die kleinen, grünlich schimmernden Fische werden als Putzerfische eingesetzt, denn sie machen Jagd auf einen Lachsparasiten, der in Norwegens Fjorden von Natur aus vorkommt – die sogenannte Lachslaus (Lepeophtheirus salmonis). Dieser Ruderfußkrebs setzt sich auf der Haut der Zuchtfische fest und verursacht Wunden, die unter Umständen zum Tod des Lachses führen können. Die Seehasen aber fressen die Parasiten, bevor sie großen Schaden anrichten können – ganz ohne Medikamente und teure Schädlingsbekämpfung. Davon profitieren nicht nur Lachse und Anlagen­betreiber, sondern auch die Umwelt.

Abb. 3.26 BluePlanetArchive/Doug Perrine

3.26 > Frei im Wasser treibende oder aber verankerte Fischkäfige mit ferngesteuerter Futtereinheit, wie sie hier vor der Küste Hawaiis getestet werden, könnten eine Möglichkeit sein, die Fischzucht auf das offene Meer zu verlagern und den ökologischen Fußabdruck der Aquakultur in den Küstengewässern zu verringern.

Haltungsverbote dagegen scheinen das einzige Mittel zu sein, mit dem sich eine sogenannte Faunenvermischung infolge unsachgemäßer Aquakulturhaltung verhindern lässt. Vor der Küste von Vancouver Island beispielsweise flüchteten im Dezember 2019 nach einem Feuer in einer Aquakulturanlage Tausende Atlantische Lachse in das umliegende Meer, welches die Heimat wilder Pazifischer Lachse ist. Meeres- und Umweltschützer befürchten nun, dass die einstigen Käfigtiere Krankheiten, Viren oder Parasiten auf die heimischen Pazifischen Lachse übertragen, denen diese nicht gewachsen sind. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass sich die Arten paaren und gemeinsamen Nachwuchs zeugen. Forscher sprechen in solchen Fällen von „genetischer Verschmutzung“.
Durch Aquakultur eingeschleppte Parasiten können sich unter Umständen schlagartig vermehren und beeinflussen schlimmstenfalls die Nahrungsnetze und das gesamte Ökosystem im erweiterten Umfeld der Anlagen. In belasteten Küstengewässern steigt zudem das Risiko, dass neue Keime entstehen, die auch dem Menschen gefährlich werden können, in dem sie zum Beispiel Durchfallerkrankungen auslösen. Ein erhöhtes Risiko besteht vor allem in den Küstenregionen Indiens, Bangladeschs und Myanmars. Dort wird trotz der hohen Bevölkerungsdichte intensiv Aquakultur betrieben – und der jährlich wiederkehrende Monsunregen sorgt für regelmäßige Überschwemmungen, im Zuge derer sich Keime schnell ausbreiten und in den Kontakt mit Menschen kommen können.
Betrachtet man vor diesem Hintergrund die Forderung, dass die weltweit wachsende Nachfrage nach Fischereierzeugnissen in erster Linie durch eine Expan­sion der Aquakulturhaltung gedeckt werden soll, wird deutlich, dass es neuer effizienter und vor allem ressourcenschonender Konzepte für die Nahrungsproduktion im Meer bedarf. Ansätze, die das gesamte Ökosystem im Blick haben, machen Hoffnung – in der Aquakultur ebenso wie in der Fischerei.

Fortschritte und Neuerungen in der Aquakultur

Die schwerwiegenden ökologischen Folgen intensiver mariner oder küstennaher Aquakulturhaltung (insbe­sondere bei gefütterten Arten) haben Forschung und ­Industrie veranlasst, nach neuen umweltschonenderen Methoden und Technologien zu suchen. Nennenswerte Fortschritte gibt es in mehreren Bereichen, so zum Beispiel bei der Artenauswahl, der Futterzusammensetzung sowie bei der Entwicklung sogenannter integrierter Kreislaufsysteme.
Weltweit werden derzeit mehr als 600 Fisch-, Krebs- und Muschelarten in Aquakultur gezüchtet. Positiv hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass in den jeweiligen Regionen zunehmend heimische Arten kultiviert werden. In Europa sind das zum Beispiel der Wolfsbarsch (Dicentrarchus labrax), die Dorade (Sparus aurata) und der Steinbutt (Scophthalmus maximus). Alle drei Arten werden in zunehmenden Mengen produziert. In den Tropen gilt die Aussage für Arten wie Barramundi (Lates calcarifer) und Zackenbarsch (Serranidae) sowie für den als Cobia, Königsfisch oder Offiziersbarsch bekannten Stachelmakrelenverwandten Rachycentron canadum. Sowohl der Cobia als auch der Zackenbarsch mögen warmes Wasser. Beide Arten wachsen schnell und eignen sich hervorragend für die Zucht in Aquakulturhaltung. Außerdem weisen sie eine sehr gute Fleischqualität auf, sodass Produzenten auf hohe Produktionsmengen und gute Absatzchancen hoffen.
S. 107: Tabelle nach www.oceanpanel.org/future-food-sea
Intensive Aquakulturforschung sowie steigende Weltmarktpreise für Fischmehl und -öl haben in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten dazu geführt, dass deren Anteil im Futter deutlich zurückgegangen ist. Bestanden in der Vergangenheit Futtermittel für Raubfische wie Lachs oder Wolfsbarsch überwiegend aus ­tierischen Produkten, werden heutzutage Ersatzstoffe aus Getreide, Öl- oder Hülsenfrüchten in derart großen ­Mengen beigemischt, dass beispielsweise der Fischmehlanteil in Futtermitteln für Forellen und Lachse auf zehn Prozent und weniger gesunken ist. Dieser ließe sich weiter reduzieren, wenn es gelänge, Mikroalgen kostengüns­tig in so großen Mengen zu produzieren, dass sie das Fischöl ersetzen könnten. Wie Fischöl enthalten auch Mikroalgen Omega-3-Fettsäuren, welche für die Fischgesundheit unabdingbar sind und mit dafür sorgen, dass Fisch für den Menschen so nahrhaft ist.
Bei der Frage, wie sich der Frischwasserverbrauch in Kreislaufanlagen an Land reduzieren lässt, haben sich Aquakulturforscher an Zierfischaquarien orientiert und Reinigungssysteme entwickelt, welche die Ausscheidungen der Fische herausfiltern und umwandeln. Auf diese Weise ist man rein rechnerisch in der Lage, ein Kilogramm Fisch mit weniger als 100 Liter Frischwasser zu produzieren. Zum Vergleich: In herkömmlichen Teich- oder Durchflussverfahren mussten bislang 2000 bis 200 000 Liter Wasser eingesetzt werden, um die gleiche Menge Fisch zu erzeugen. Doch auch für diese weit verbreiteten Anlagen haben die Forschenden Wasserauf­bereitungssysteme und Handlungsanweisungen entwickelt, mit denen sich die negativen Folgen für das ein­gesetzte Wasser reduzieren lassen.
Das Leitbild eines geschlossenen Nährstoffkreislaufes stand Pate bei der Entwicklung neuer sogenannter integrierter multitrophischer Aquakultursysteme (Integrated Multi-Trophic Aquaculture, IMTA), in denen ausgewählte Arten aus unterschiedlichen Ebenen des Nahrungsnetzes so gehalten werden, dass die Ausscheidungen der einen Art als Dünger oder Futter für die nächste Art dienen und von dieser möglichst effektiv genutzt werden. Ein Beispiel: In einer Anlage werden Fische neben Muscheln, Großalgen und Krebsen gehalten. Futter kommt nur am Anfang der Kette zum Einsatz – in Form von Fischfutter. Der Fischkot wird anschließend von den Muscheln und Algen aus dem Wasser gefiltert und als Nährstoff verwertet. Die Krebse am Meeresboden vertilgen derweil, was bei der Fisch- und Muschelproduktion übrig bleibt und in die Tiefe sinkt.
Die Vorteile einer solchen Anlage liegen auf der Hand: Zum einen wird verhindert, dass durch den Betrieb der Anlage zusätzliche Nährstoffe in das Küstenmeer eingetragen werden. Zum anderen verringert sich das wirtschaftliche Risiko für die Anlagenbetreiber. Durch die parallele Produktion verschiedener Arten innerhalb eines Systems sinken nämlich die Kosten pro Art. Außerdem können die Farmer eine größere Auswahl an Erzeugnissen vermarkten, wodurch sie widerstandsfähiger gegenüber kurzfristigen Nachfrage- und Preisschwankungen werden. Berücksichtigt man zu alledem das steigende Bewusstsein der Kunden für nachhaltig produzierte Nahrungsgüter, so liegt die Vermutung nahe, dass Fischereierzeugnisse aus integrierten Aquakulturanlagen künftig häufiger gekauft werden als Erzeugnisse aus wenig nachhaltiger Produktion und der Betrieb solcher Anlagen von der einheimischen Bevölkerung eher akzeptiert wird.
Noch experimentieren Forscher, welche Arten sich in welchen Regionen bestmöglich miteinander kombinieren lassen. In den tropischen Regionen aber zeichnet sich ab, dass integrierte Aquakultursysteme eine elegante Lösung für die dringend benötigten Produktionssteigerungen in der marinen Aquakultur sein könnten. Geforscht wird hierzu vor allem in Südostasien. Aber auch in Kanada, Chile, Israel und Südafrika wird intensiv an diesem Thema gearbeitet.

Regional angepasste Lösungen

Von herkömmlicher Aquakultur auf integrierte Systeme umzustellen, wird jedoch nicht überall ausreichen. Gerade dort, wo die natürlichen Küstenökosysteme in der Vergangenheit enorm unter der intensiven Nutzung gelitten haben, wird man auch den Rückbau vorhandener Aquakulturanlagen in Betracht ziehen müssen, wenn es gelingen soll, geschädigte Küstenbereiche wiederzubeleben. Wie umfassend eine solche Renaturierung sein muss, zeigt das Beispiel der chinesischen Küstenmetropole Xiamen. In den Küstengewässern der 5,1 Millionen Einwohner zählenden Hafenstadt wurde bis zum Jahr 2002 flächendeckend Aquakultur betrieben. Dreck aus den Teichen sowie Überreste des intensiven Futtereinsatzes in den Fischkäfiganlagen verschmutzten über zwei Jahrzehnte lang die Meeresbucht, an welcher die Stadt liegt. Im Zeitraum von 1984 bis 1996 kam es unter anderem aus diesem Grund etwa zweimal pro Jahr zu großen Fischsterben. Der Mangrovenwald starb nahezu vollständig ab; die Zahl der See­vögel und Flussdelfine schrumpfte dramatisch.
Im Rahmen eines neuen vierstufigen Meeres- und Küstenmanagementplans leitete die Stadt dann die Wende ein. Die Aquakulturanlagen wurden komplett abgebaut, der örtliche Mangrovenwald wieder aufgeforstet, Feuchtgebiete renaturiert, Abwasserkläranlagen errichtet und den Wasseraustausch hindernde Mauern und Wälle abgerissen, um nur einige Maßnahmen des umfassenden Programmes zu nennen. Das Ergebnis kann sich nach Meinung von Wissenschaftlern sehen lassen: Die Wasserqualität in der Meeresbucht hat sich derart verbessert, dass Reiher, Flussdelfine und viele andere Arten nun wieder eine Perspektive haben.
Ein radikaler Rückbau der Aquakultur kann allerdings nur in Ausnahmefällen die Lösung sein. Gegen flächendeckende Stilllegungen spricht die weltweit steigende Nachfrage nach Fischereierzeugnissen. Sollten wir diese auch künftig decken wollen, gelänge dies nach Auffassung der FAO nur, wenn noch mehr tierische und pflanzliche Produkte in Aquakultur erzeugt würden. Außerdem stellt die Nahrungsmittelproduktion im Meer in vielen Küstenregionen und Gegenden die einzige Einkommensquelle für die lokale Bevölkerung dar. Aquakulturanlagen zu schließen, würde vor allem in den Tropen vielen Menschen ihre Lebensgrundlage nehmen.
Ansätze zur Zukunft der Aquakultur diskutiert. Einige Experten empfehlen, anstelle von Masse auf Klasse zu setzen. Sie favorisieren den Betrieb einzelner integrierter Anlagen, die über eine große Fläche verteilt werden, sodass ihr ökologischer Fußabdruck so gering wie möglich ist. In diesen Anlagen aber sollen dann qualitativ hochwertige Produkte erzeugt und für einen entsprechenden Preis verkauft werden. Andere Wissenschaftler wiederum votieren für einen Ausbau der weltweiten Aquakultur, allerdings unter der Prämisse, dass Umweltschäden und Konflikte mit der einheimischen Bevölkerung vermieden werden. Vorgeschlagen wird unter anderem:
  • Umweltstandards zu definieren und durchzusetzen;
  • die Standorte neuer Aquakulturanlagen auf Basis wissenschaftlicher Informationen und in Absprache mit anderen lokalen Nutzergruppen des Meeres zu planen;
  • Zertifikate oder Label für nachhaltige Aquakulturproduktion einzuführen sowie Lieferketten transparent zu machen;
  • die Zucht nicht gefütterter Arten zu intensivieren;
  • im Fall von gefütterten Arten die Futtermittelzusammenstellung und den Futtermitteleinsatz weiter zu optimieren;
  • Alternativen für die marine Massentierhaltung in Netzkäfigen zu finden – beispielsweise indem auch hier Zuchtfische, Putzerfische, Algen und Muscheln in integrierten Systemen gehalten und Synergien erzeugt werden;
  • die Anfälligkeit für Krankheiten durch Zucht und genetische Modifikation zu reduzieren;
  • die Produktion auf das offene Meer zu verlagern, um die Küstengewässer zu entlasten;
  • auf ökosystembasierte Haltungssysteme zu setzen – im Küstenbereich ebenso wie auf dem offenen Meer.
Eine jede dieser Ideen hat ihre Vorteile. Es gibt allerdings auch immer Gründe, die gegen eine Umsetzung spre- chen. So wird häufig argumentiert, dass viele der vorge- schlagenen Maßnahmen zu teuer und damit für Anlagen- betreiber unwirtschaftlich seien. Feldversuche, die diese Argumentation mit überzeugenden Bilanzen widerlegen, gibt es zum Leidwesen der Aquakulturforscher bislang kaum. Berechnungen zur Wirtschaftlichkeit nachhaltiger Aquakulturansätze beruhen meist auf Computermodellierungen.
Tatsache aber ist: Wenn Aquakultur im Einklang mit der Natur betrieben werden soll, kann es nicht nur einen Lösungsansatz geben. Stattdessen müssen die Methoden den lokalen und regionalen Gegebenheiten angepasst werden. Die politischen Entscheidungsträger stehen jeweils in der Pflicht, Gesetze und Regeln einzuführen, welche die vielerorts offenen Besitz- und Haftungsfragen klären, attraktive Anreize für einen nachhaltigen Betrieb der Anlagen setzen (zum Beispiel Steuervorteile, Subven- tionen etc.) sowie Methoden und Grenzwerte für ein effektives Aquakultur-Umwelt-Monitoring vorschreiben.
In Staaten, in denen klare Rechte, Vorschriften und Verantwortlichkeiten fehlten, hätten Anlagenbetreiber keinen Grund, in nachhaltige Technologien und Futter- mittelforschung zu investieren, argumentieren Wissen- schaftler. Würde man in einem solchen Umfeld die Expansion der Aquakultur vorantreiben, sei davon aus- zugehen, dass die Wasserqualität rapide sinken, die marine Umwelt großen Schaden nehmen und das Gesundheitsrisiko für Küstenbewohner steigen werde. Die Entscheidung, ob und wie man die Aquakultur aus- bauen könnte, sei deshalb keine einfache. Kosten und Nutzen müssten gründlich abgewogen werden.
S. 110/111 Tabelle nach www.oceanpanel.org/future-food-sea
S. 110/111 Tabelle nach www.oceanpanel.org/future-food-sea

Gütezeichen für verantwortungsvolle Aquakultur

Kunden, die Fisch und Meeresfrüchten aus verantwortungsvoller oder nachhaltiger Aquakultur erwerben wollen, erkennen entsprechende Produkte anhand verschiedener Gütezeichen. In Anlehnung an das Nachhaltigkeitssiegel des Marine Stewardship Council (MSC) für Wildfänge gibt es auch ein Gütezeichen für sozial-ökologisch nachhaltige Aquakultur – jenes des Aquaculture Stewardship Council (ASC). Dieser hat Zuchtstandards für 17 Artengruppen entwickelt, deren Marktwert hoch ist und deren Zucht weitreichende Auswirkungen auf die Umwelt hat. Zu diesen Zuchtarten gehören marine Vertreter wie Seeohr, Venusmuschel, Miesmuschel, Auster und Jakobsmuschel sowie Lachs, Wolfsbarsch, Dorade, Adlerfisch und Offiziersbarsch. Seit November 2017 gibt es außerdem einen übergreifenden ASC-MSC-Standard für die Zucht von Algen.
Im Zuge des ASC-Zertifizierungsverfahrens werden die Anlagenbetreiber dazu motiviert:
  • weniger Pestizide, Chemikalien und Antibiotika einzusetzen;
  • die Wasserverschmutzung zu reduzieren;
  • effizienter zu füttern und dadurch eine Überdüngung der Anlagen und Küstengewässer zu verhindern;
  • ihre Anlagen technisch derart aufzurüsten, dass Zuchtfische nicht ausbrechen können;
  • alle Mitarbeitenden fair und nach entsprechenden Sozialstandards zu behandeln;
  • auf positive Weise mit den Menschen in den umliegenden Gemeinden zu interagieren.
Außerdem müssen die teilnehmenden Aquakulturunternehmen sicherstellen, dass ihre Lieferketten derart gestaltet sind, dass sie ein Verwechseln oder Vermischen von zertifiziertem mit anderem Fisch ausschließen und jedes Produkt vom Ort des Verkaufes zuverlässig bis zur Farm zurückverfolgt werden kann.
Bis zum Ende des Jahres 2019 hatte der ASC mehr als 1100 Aquakulturfarmen in 42 Ländern zertifiziert. Gemeinsam produzierten diese fast zwei Millionen Tonnen Fisch und Meeresfrüchte. Im Vergleich zu 2014 war die Zahl der beteiligten Farmen demnach um 450 Prozent gestiegen, die Menge der nach ASC-Vorschriften produzierten Fischereierzeugnisse um 181 Prozent. Die vom ASC gemachten Umweltauflagen zeigen ebenfalls Wirkung: Zertifizierte Garnelenfarmen in Vietnam beispielsweise konnten durch ein verbessertes Abfallmanagement ihre negativen Umwelteinflüsse halbieren. ASC-Lachsfarmen reduzierten den Anteil von Fischmehl aus Wildfängen um drei Prozent.
Strenger als die Auflagen des ASC sind die Zertifizierungsrichtlinien für Aquakulturbetriebe, die das deutsche Naturland-Siegel für ökologische Aquakultur tragen. Betreiber verpflichten sich hierbei unter anderem:
  • auf artgerechte Haltungsbedingungen und niedrige Besatzdichten zu achten;
  • zertifiziertes Ökofutter einzusetzen, dessen Anteile an Fischmehl und -öl aus Resten der Verarbeitung von Speisefischen stammen und nicht aus industriel- ler Fischerei, die speziell für die Futterproduktion eingesetzt wurde;
  • auf den Einsatz von Gentechnik, chemischen Zusät- zen und Wachstumsförderern oder Hormonen zu verzichten;
  • die strengen Auflagen beim Einsatz von Arzneien zu erfüllen (so ist zum Beispiel der Einsatz von Antibio- tika in der Garnelenzucht verboten);
  • ihren Mitarbeitern hohe Sozialstandards zu bieten.
Betreiber von Garnelenzuchtanlagen sind zudem ver- pflichtet, ehemalige Mangrovenflächen wieder aufzufor- sten. Mit Auflagen wie diesen hebt sich Naturland auch von der gesetzlichen Mindestregelung der EU-Verord- nung für Ökoaquakulturen ab. Diese trat am 1. Juli 2020 in Kraft und gibt erstmals europaweit gesetzliche Rege- lungen für Biofisch und -meeresfrüchte vor.
Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace begrü- ßen die Verordnung, im Prinzip, bezeichnen die Rege- lungen aber gleichzeitig als kleinsten gemeinsamen Nen- ner. Wichtige Kriterien seien zu schwach definiert. So wurden zum Beispiel die meisten Besatzdichten zu hoch angesetzt und kritische Chemikalien zur Verwendung freigegeben. Die EU-Verordnung bleibe somit weit hinter Richtlinien zurück, wie sie zum Beispiel der Naturland- Verband seit mehr als einem Jahrzehnt vorgibt.

Ein Nahrungslieferant am Limit

Ohne Fisch kann die Welt nicht ernährt werden – darin sind sich alle Experten einig. Mehr als 3,3 Mil- liarden Menschen beziehen mindestens ein Fünftel ihres tierischen Eiweißes aus aquatischen Lebens- mitteln. Noch viel höher ist die Bedeutung von Mee- resfisch für die Küstenbevölkerung in Entwicklungs- ländern sowie für die Bewohner kleinerer Insel- staaten. Für viele von ihnen ist Fisch oft die einzige bezahlbare Bezugsquelle tierischen Eiweißes. Unge- achtet dessen aber essen auch die meisten anderen Menschen immer mehr Fisch und Meeresfrüchte. Der Pro-Kopf-Verbrauch ist seit dem Jahr 1995 von 13,4 Kilogramm Fisch pro Jahr und Erdenbürger auf 20,5 Kilogramm gestiegen.
Ermöglicht haben diesen Anstieg eine intensi- vere Fischerei, vor allem in Seen, sowie ein Ausbau der inländischen und marinen Aquakulturhaltung. Nichtsdestotrotz macht die Meeresfischerei bis heu- te den größten Anteil der Wildfänge aus, denn die internationalen Fangzahlen verharren seit rund 15 Jahren auf sehr hohem Niveau. Welchen Schaden diese intensive Meeresfischerei anrichtet, ist schwer zu quantifizieren, weil die Hälfte der gefangenen Fische aus Beständen stammt, die wissenschaftlich gar nicht überwacht werden. Von den wissenschaft- lich begutachteten Beständen gelten nach FAO- Angaben mittlerweile mehr als ein Drittel als über- fischt. Andere Studien gehen von einer noch höheren Zahl aus, da die FAO-Statistik zum Beispiel illegale, nicht berichtete und unkontrollierte Fischerei nur unzureichend berücksichtigt.
Neue Technologien wie Satellitenüberwachung, automatische Schiffsidentifikationssysteme und Da- tenportale über Fang- und Kühlschiffe erlauben es Kontrolleuren heutzutage, illegale Fischereiaktivitä- ten in einem größeren Umfang aufzudecken. Auch macht Hoffnung, dass dort, wo Bestände nachhaltig und wissenschaftsbasiert verwaltet und Fischereiaktivitäten streng überwacht wurden, sich einst über- fischte Fischpopulationen wieder erholen konnten. Desolat ist dagegen die Situation überall dort, wo kei- ne Kontrolle stattfindet oder Fischereimanagement fernab wissenschaftlicher Empfehlungen betrieben wird; sogar in einigen Teilen der Europäischen Union.
Uneins sind sich Wissenschaftler und Politiker auch in der Frage, welche Rolle die marine Aquakul- tur bei der künftigen Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung spielen kann. Einige Experten ver- weisen auf die theoretische Möglichkeit enormer Produktionssteigerungen; andere wiederum sehen diesen Optimismus kritisch.
In der Vergangenheit haben der Bau und Betrieb von Anlagen zu großräumigen Umweltzerstörungen geführt. Wissenschaft und Industrie arbeiten daher mit Hochdruck an nachhaltigeren Produktionsricht- linien, Technologien und Anlagenkonzepten. Deren Umsetzung oder Einsatz soll die natürlichen Ressour- cen schonen, den Medikamenten- und Chemikalien- einsatz minimieren und das Meer insgesamt weniger belasten. Integrierte oder ökosystembasierte Ansätze mit geschlossenen Nährstoffkreisläufen bieten hier bislang die besten Erfolgsaussichten. Große Hoff- nungen ruhen allerdings auch auf der Großalgen- zucht, dem am schnellsten wachsenden Sektor der Aquakultur. Intensiv geforscht wird außerdem zu Ersatzstoffen, mit denen der Anteil von Fischmehl und Fischöl in Futtermitteln zurückgeschraubt wer- den kann.
Damit sich nachhaltige Unternehmenskonzepte jedoch langfristig durchsetzen können, bedarf es strengerer Auflagen und Kontrollen im Aquakultur- sektor. Gütezeichen wie das ASC-Siegel können dabei unterstützend wirken. Immer lauter aber wer- den auch Forderungen, wonach Fisch und Meeres- früchte wieder seltener auf den Teller kommen sollten. Angesichts des steigenden Fischkonsums weltweit hat der Nahrungslieferant Meer sein Limit nämlich längst erreicht.

(mfe)

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