Weltraumteleskop Webb bricht seinen eigenen Rekord

Das James-Webb-Teleskop erspähte erst kürzlich die älteste bekannte Galaxie, doch schon jetzt ist klar: Es gibt Sternenhaufen, die noch näher am Urknall sind

Als die astronomische Gemeinschaft noch darum bangte, ob das bahnbrechende James-Webb-Weltraumteleskop überhaupt funktionsfähig ist, brach ein japanischer Forscher im April 2022 einen Rekord: Er entdeckte mit HD1 eine noch ältere und fernere Galaxie als jene, die der Forschungswelt bereits bekannt waren – wobei der als Vorabpublikation öffentlich gemachte Fund noch nicht bestätigt wurde. Ihr Licht brauchte 13,5 Milliarden Jahre, um die Erde zu erreichen. Damit stammt es aus einer Zeit rund 300 Millionen Jahre nach dem Urknall, dem Ursprung des Universums.

Doch schon einige Monate später, kurz nachdem das Webb-Teleskop die Welt mit seinen ersten Bildern abseits der Testfotos beeindruckte, kam die potenzielle Rekordhalterin in Bedrängnis. Aus einer ähnlichen Zeit und Distanz stammt nämlich das Licht, das uns von den Sternen der Galaxie Glass-z13 erreicht. Ebenfalls noch nicht fachlich begutachtet, lieferte diesmal das James-Webb-Teleskop die Daten für die Berechnungen.

Die Galaxie-Anwärterin Glass-z13 wurde durch das JWST entdeckt, doch nun bereits übertrumpft.
Foto: AFP / Pascal Oesch / Cosmic Dawn Center, Niels Bohr Institute / University of Copenhagen

Cheers für Ceers

Vor kurzem warf nun auch ein Team um den Astronomen Callum Donnan von der Universität Edinburgh in Schottland eine weitere Kandidatin ins Rennen, die die neuen Anwärterinnen hinter sich lassen dürfte. Die Newcomerin wurde ebenfalls erstmals per Webb-Teleskop gesichtet. Sie erhielt von Donnans Team den Namen Ceers-93316 – wobei mittlerweile ein weiteres Forschungsteam eine Arbeit zu dieser extremen Galaxie online stellte und sie dort Ceers-1749 nennt. Benannt sind sie nach dem Projekt “Cosmic Evolution Early Release Science Survey”, kurz Ceers, in dessen Rahmen erste Webb-Daten analysiert werden. Auch diese Studien warten noch auf Peer-Review-Verfahren.

Ein Forschungsteam aus Edinburgh will mit Ceers-93316 die älteste bisher bekannte Galaxie entdeckt haben.
Bild: Sophie Jewell/Clara Pollock

Die neu entdeckte Galaxie könnte es Donnans Veröffentlichung zufolge schon ungefähr 235 Millionen Jahre nach dem Big Bang gegeben haben. Das ist nochmals um einiges näher am Anbeginn von Raum und Zeit als die jahrelange offizielle Rekordhalterin GN-z11, die seit 2016 den Ältestenrang einnimmt und mithilfe des Weltraumteleskops Hubble entdeckt wurde – in den kosmischen Tiefen des Großen Wagens.

Rotverschiebung, kurz erklärt

Im Zentrum steht für Astronominnen und Astronomen dabei eine wichtige Kennzahl: die Rotverschiebung. Licht hat unterschiedliche Wellenlängen. Am oberen Ende des Spektrums ist Infrarotlicht angesiedelt, das langwellig ist. Kürzere Wellenlängen hat der für uns in allen Regenbogenfarben sichtbare Bereich sowie das untere Spektrumsende, ultraviolettes Licht (oder UV-Licht).

Mit der Wellenlänge hängen auch die Spektrallinien des Lichts zusammen, und um genau diese geht es bei der Rotverschiebung. Die Spektrallinien von infrarotem Licht, das uns aus fernen Galaxien erreicht, sind nämlich verschoben, weil zwischen einer solchen Galaxie und uns das Universum expandiert und so auch das Licht beeinflusst. Die Rotverschiebung lässt sich messen und wird mit der Variablen z bezeichnet.

Diese Grafik aus der älteren japanischen Studie zeigt die Evolution des Weltraums – vom Big Bang bis heute. Unten sind die Jahrmilliarden aufgetragen, oben die passende Rotverschiebung z.
Bild: Harikane et al., NASA, EST and P. Oesch/Yale

44 neue Galaxien

Eine besonders eindrucksvolle Verzerrung fanden die Forschungsteams für die neu entdeckte Galaxie: Ihr z-Wert liegt bei ungefähr 17. Die Rotverschiebung der Rekordhalterin GN-z11 liegt – wie der Name schon andeutet – bei elf. Bei Werten über 7,5 – so die Maßzahl der Studienautorinnen und Studienautoren – gehören Sterne zu den ältesten des Universums.

Doch Donnan und sein Team fanden nicht nur diese eine uralte Galaxie, sondern ganze 55 alte Sternenhaufen – und 44 davon konnte man bisher noch gar nicht sehen. Bei sechs Galaxien kam die Rotverschiebung auf einen Wert von zehn und mehr. Sie dürften damit schon 480 Millionen Jahre nach dem Urknall existiert haben. “Dies liefert bereits eine dramatische Bestätigung der lange erwarteten Fähigkeit des James-Webb-Teleskops, die Entwicklung von Galaxien bis in die Zeit der ersten etwa 300 Millionen Jahre nach dem Urknall nachzuzeichnen”, schreibt das Forschungsteam.

Revolution der Entstehungsmodelle

Ein z-Wert von knapp 17 wurde bisher noch nicht berechnet. Außerdem fanden die erstaunten Fachleute heraus, dass die Sterne der Galaxieanwärterin – der Titel muss immerhin noch bestätigt werden – durchschnittlich 20 Millionen Jahre alt und älter sind. Sie dürften ab dem Zeitraum zwischen 120 und 220 Millionen Jahre nach dem Big Bang entstanden sein, so die Vermutung.

Gemeinsam mit der Größe der Gebilde und ihrer Leuchtkraft zeichnet sich also ein neues Bild von den Anfängen des Universums ab: Die ersten Sterne und Sternenhaufen entstanden wohl früher als gedacht – und schienen heller als vermutet. Dies stellt bisherige Modelle zur Evolution früher Galaxien infrage, schreibt auch das zweite Forschungsteam um Rohan Naidu vom Massachusetts Institute of Technology (MIT), das diesen extrem alten Sternen auf die Schliche kam. “Unter den typischen Annahmen ist es praktisch unmöglich, eine so helle, massive und frühe Galaxie zu produzieren”, sagt Naidu.

She’s a 10, but …

Deshalb ging sein Team auch der Vermutung nach, dass es sich gar nicht um ein kosmologisches Großmütterchen mit einem z-Wert nahe 17 handelt, sondern stattdessen um eine Rotverschiebung von nur fünf. Denn dieser Wert ergibt sich für die stellare Nachbarschaft des Gebildes. Daher schreibt das Forschungsteam von “Schrödingers Galaxienkandidatin”: Hat sie nun einen Wert von fünf oder 17? Gibt sie sich fälschlicherweise als besonders altes Exemplar aus?

“Es stellt sich heraus, dass es wirklich schwierig ist, eine perfekte Betrügerin zu sein”, sagt Naidu und stützt damit doch wieder die astronomische Großmutterhypothese. Noch exaktere Spektroskopien dürften allerdings bald für mehr Klarheit sorgen.

Kurzlebiger Jubel, neue Rekorde

Die Erkenntnisse der Forschungsteams müssen zudem erst durch andere Fachleute begutachtet werden. Dennoch liefern sie eine vielversprechende Vorschau auf die Erkenntnisse, die das Weltraumteleskop Webb noch bringen wird – denn genau für diese Art von Aufgaben wurde es konstruiert.

Das Webb-Weltraumteleskop wurde gebaut, um im Infrarotbereich neue Informationen über die Entwicklung des Universums zu sammeln.
Foto: APA/AFP/NASA/CHRIS GUNN

Auch Steve Finkelstein von der Universität Texas in Austin entdeckte mit seinem Team kürzlich dank Webb eine enorm alte Galaxie mit einer Rotverschiebung von etwa 14 – also wahrscheinlich jünger als Ceers-93316 – und bezeichnete sie als Maisie’s Galaxy, nach dem Namen seiner Tochter. Zunächst war er nicht so überzeugt vom neuen Teleskop wie Kolleginnen und Kollegen: “Ich sagte: ‘Es wird schon viele wirklich coole Dinge tun, aber wird es wirklich komplett verändern, wie wir das Universum sehen?’ Damit hätte ich nicht weiter danebenliegen können. Lehrbücher werden umgeschrieben – allein auf der Grundlage der Daten, die wir in der ersten Woche erhalten haben.”

Dies deutet allerdings auch auf eine gewisse Kurzlebigkeit der nun ausgerufenen Rekorde hin. Vermutlich folgen also schon in den kommenden Wochen neuere Erkenntnisse zu den ältesten und weitestentfernten Lichtern, die Menschen jemals gesichtet haben. (Julia Sica, 10.8.2022)

Source: Weltraumteleskop Webb bricht seinen eigenen Rekord
https://www.youtube.com/watch?v=amjM6tcjEJg

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
0 KOMMENTARE
Inline-Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen