Dunkle Energie

Auf der Suche nach der geheimnisvollen Triebkraft des Universums

Dunkle Energie nur Messfehler? - SWR Wissen

Dunkle Energie nur Messfehler?

Sie ist überall, dominiert das Universum und könnte der große Gegenspieler der Gravitation sein: die Dunkle Energie. Seitdem Forscher entdeckt haben, dass sich der Kosmos immer schneller ausdehnt, gilt sie als die Triebkraft dieses Phänomen. Was aber die Dunkle Energie ist und wie sie in unser physikalisches Weltbild passt, ist nach wie vor rätselhaft.

Die Spanne der Erklärungsversuche reicht von einer Ureigenschaft des Raumes über eine quantenphysikalische Vakuumenergie bis hin zu einem geheimnisvollen Feld. Aber was wirklich hinter der Triebkraft der beschleunigten Expansion steckt, gehört heute zu den großen Rätseln der modernen Kosmologie.

In aller Welt suchen daher Forscher nach Wegen, um der Dunkeln Energie und ihrer Natur auf die Spur zu kommen. Ihre Messmethoden umfassen dabei gewaltige Durchmusterungen des fernen Kosmos ebenso wie kleinste Zustandsänderungen von Elementarteilchen.

Das Eigentliche ist unsichtbar

Die Dunkle Seite unseres Universums

Seit Tausenden von Jahren blicken wir Menschen fasziniert und neugierig zugleich in den Nachthimmel. Wir beobachten die Bewegungen von Sternen und Planeten, suchen nach Welten jenseits der unsrigen und nicht zuletzt nach Antworten auf die großen Fragen unserer Existenz. Ziel der Astronomie und Astrophysik war es dabei lange Zeit, möglichst viele kosmische Phänomene zu entdecken und zu kartieren. Denn sie verraten einiges über die Gesetzmäßigkeiten und Entwicklungen, die unser Universum prägen.

Das Universum ist „dunkel“

Anteile von Dunkler Materie, normaler Materie und Dunkler Energie im Universum. Die Zahlen basieren auf den aktuellesten Messungen des Weltraumteleskops Planck. © Podbregar / NASA

Inzwischen aber scheint es fast so, als wenn sich ein Großteil des eigentlichen Geschehens im Universum ausgerechnet dort verbirgt, wo man nichts sieht – wo scheinbar nichts ist. Denn Sterne, Planeten und die gesamte Materie, die wir kennen, ist im kosmischen Maßstab gesehen nur eine kleine Verunreinigung: Sie macht gerade einmal knapp fünf Prozent von Allem aus. Der Rest aber ist „dunkel“: Er entzieht sich der direkten Beobachtung und lässt sich mit unseren heutigen Methoden und Technologien auch nicht direkt nachweisen. Nur über einige ihrer Effekte verrät sich die dunkle Seite des Universums.

Eine dieser dunklen Komponenten ist die Dunkle Materie. Sie macht nach aktuellen Messungen – unter anderem der Kosmischen Hintergrundstrahlung – gut ein Viertel des Universums aus. Indizien für ihre Existenz ist vor allem ihre Schwerkraftwirkung: Erst sie erklärt, warum die Galaxien so schnell rotieren und trotzdem zusammenhalten und nicht einfach auseinander fliegen. Weil neben der normalen Materie in jeder Galaxie auch jede Menge Dunkler Materie steckt, reicht die Masse und damit auch die anziehende Kraft der Gravitation aus, um die unzähligen Sterne und Gaswolken in Form zu halten.

Dunkle Materie und exotische Teilchen

Dunkle Materie kann nur indirekt nachgewiesen werden, wie hier durch Massenkonzentration in einem Galaxiencluster (blau). Grüne Gebiete zeigen Gaswolken, orange das Licht von Sternen. © NASA, ESA, CFHT, CXO, Jee/ UC Davis, Mahdavi / SF STate University

Woraus diese Dunkle Materie besteht, ist allerdings noch immer unbekannt. Physiker vermuten hinter ihrem Wirken exotische Teilchen, als einer der möglichen Kandidaten gelten dabei sogenannte Weakly Interacting Massive Particles (WIMPs). Diese Partikel sind insofern exotisch, als dass sie gängiger Theorie nach ihre eigenen Antiteilchen sind: Ähnlich wie normalerweise Materie und Antimaterie löschen sie sich beim Zusammenprall gegenseitig aus. Dabei sollen, so vermutet man, energiereiche Gammastrahlen, Antiprotonen oder Positronen entstehen.

Tatsächlich haben in den letzten Monaten Forscher gleich zwei mögliche Indizien für solche WIMPs entdeckt: Zum einen detektierte das Alpha Magnetic Spectrometer (AMS) an Bord der Internationalen Raumstation ISS einen Überschuss an kosmischen Positronen. Zum anderen fingen die Gammastrahlen-Detektoren des NASA Weltraumteleskops Fermi erst kürzlich einen Überschuss von Gammastrahlung aus dem Herzen der Milchstraße ein – da dort eine hohe Dichte Dunkler Materie vermutet wird, könnte diese aus dem Zerfall der WIMPs stammen. Endgültige Beweise stehen aber bisher noch aus.

Die Hauptkomponente des Universums aber ist noch rätselhafter…

Der Supernova-Schock

Beschleunigte Expansion und Dunkle Energie

Es kam alles anders als erwartet: Als Saul Perlmutter von der University of California und sein Team vom Supernova Cosmological Project Anfang der 1990er Jahre ihr Langzeitprojekt begannen, war das Bild des Kosmos noch ziemlich einfach: Es gab zwar neben der normalen Materie noch die Dunkle Materie. Aber ansonsten regierten die schon unter anderem von Einstein postulierten Grundgesetze der Physik.

Schrumpfender Luftballon oder ewige Expansion?

Edwin Hubble entdeckte die kosmische Expansion, indem er die Rotverschiebung verschieden weit entfernter Galaxien verglich. © NASA/ESA, STScI/AURA – Hubble Collaboration

Nach gängiger Annahme war die Gravitation dabei eine der prägenden Kräfte im Universum. Die Schwerkraft der Materie beeinflusst das Verhalten aller Himmelskörper, bestimmt aber auch, wie sich der Kosmos entwickelt – und wie stark er sich ausdehnt. Schon 1929 hatte der US-Astronom Edwin Hubble die kosmische Expansion entdeckt, indem er die Rotverschiebung unterschiedlich weit entfernter Galaxien verglich. Über die Expansionsrate des Universums lässt sich seither ermitteln, wann alles begann – wann der Urknall stattfand.

Die Zukunft des Universums aber war zu Beginn von Perlmutters Projekt noch offen: Man ging zwar davon aus, dass die gegenseitige Anziehung der Materie im Laufe der Zeit die Ausdehnung verlangsamt. Aber wie stark war dieser Effekt? Reicht er aus um die Expansion irgendwann einmal ganz zu stoppen? Wird sich das Universum dann vielleicht sogar wieder zusammenziehen, wie ein Luftballon, dem Luft entweicht? Oder ist die Schwerkraftwirkung der Materie dafür doch zu schwach und das Universum wird sich ewig weiter ausdehnen?

Supernovae als Expansions-Anzeiger

Supernova Typ IA: ein Weißer Zwerg saugt seinem Partner so lange Materie ab, bis er eine Massengrenze überschreitet und explodiert. © NASA

Diese Fragen wollten Perlmutters Team und eine zweite Forschergruppe um Brian Schmidt von der Australian National University und Adam Riess von der Johns Hopkins University im High-z Supernova Search Team beantworten. Ihr Ansatz dabei: Sie fahndeten im Universum nach einem bestimmten Typ der Sternexplosion, der sogenannten Supernova Typ 1a. Deren helles Licht ist selbst im fernen Kosmos noch gut auszumachen, zudem ermöglicht ihre standardisierte Leuchtkraft auch Rückschlüsse darauf, wie schnell sich diese kosmischen Kerzen von uns entfernen. Das wiederum liefert Hinweise darauf, ob und wie sich die Expansion in den letzten Milliarden Jahren verändert hat.

Das 1998 vorgestellte Ergebnis war ein echter Schock: Die Expansion des Universum hatte sich im Laufe der Zeit gar nicht verlangsamt, wie die Kosmologen es bisher fest angenommen hatten. Stattdessen dehnte sich der Kosmos seit rund sechs Milliarden Jahren sogar schneller aus als zuvor. Wie war dies zu erklären? Das widersprach nicht nur gängiger Theorie, es stellte auch alles auf den Kopf, was man über die Gravitation und ihre Wirkungen zu wissen glaubte.

Geheimnisvoller Gegenspieler

Vor rund sechs Milliarden Jahren begann sich die Expansion zu beschleunigen. © Ann Feild (STScI)

Ganz offensichtlich gibt es neben der Schwerkraft noch etwas anderes, einen Gegenspieler, der in den Verlauf der kosmischen Geschichte eingreift. Diese Kraft muss der Gravitation entgegenwirken und die anziehende Wirkung der Materie ausgleichen – und dies umso mehr, je älter und größer der Kosmos wird. Vor rund sechs Milliarden Jahren gewann dann diese geheimnisvolle Energie sogar die Oberhand über die Gravitation. Seither dehnt sich unser Universum immer schneller aus.

Überall und immerzu

Die seltsamen Eigenheiten der Dunklen Energie

Inzwischen ist klar: Die Dunkle Energie macht gut zwei Drittel unseres Universums aus. Sie ist damit die dominante Komponente des Alls. Dennoch ist ihr Wirken extrem subtil: Wir können ihren Einfluss nicht an den Bewegungen der Planeten oder Sterne ablesen – hier scheint nach wie vor die Gravitation die Oberhand zu haben. Und auch in physikalischen Experimenten ist es bisher nicht gelungen, diese alles durchdringende, aber verborgene Macht dingfest zu machen.

Hinzu kommt: Das Verhalten der Dunklen Energie passt zu keinem bekannten Baustein in unserem Standardmodell der Physik – sie reagiert weder wie eine normale Grundkraft noch wie ein teilchenbasiertes Medium. Würde sie – ähnlich wie die Dunkle Materie – auf einem exotischen Teilchen basieren, dann müsste ihre Wirkung im Laufe der Expansion des Alls abnehmen, statt stärker zu werden.

Keine Verdünnung

Normale Materie, wie hier Sterne und Gaswolken einer Sternenwiege, dünnt durch die kosmische Expansion aus. © NASA/JPL-Caltech

Denn alle Materie – und damit auch Elementarteilchen – wird durch die Ausdehnung des Raums quasi verdünnt: Weil Materie nicht „nachwächst“, nimmt ihre Dichte im Laufe der Zeit immer weiter ab. Der gleichen Menge an Materie steht ein immer größerer Raum gegenüber. Dadurch sinkt auch der Einfluss der Gravitation auf das Universum als Ganzem. Wäre nun die Dunkle Energie auch ein exotisches Teilchen, dann müsste dieses mitverdünnt werden. Als Folge würde sich auch die auseinander treibende Wirkung dieser rätselhaften Kraft abschwächen.

Doch genau das Gegenteil ist der Fall: Je mehr der Kosmos wächst, desto stärker scheint auch die Wirkung der Dunklen Energie zu werden. Wie in einer positiven Rückkopplung treibt dies wiederum die Expansion stärker voran. Das aber könnte bedeuten, dass die Dunkle Energie eine Eigenschaft des Raums selbst ist. Denn in der Expansion dehnt sich der Raum selbst aus – also quasi die Matrix, in dem alle Objekte eingebettet sind. Im Prinzip bedeutet dies, dass es im Universum als Ganzem im Laufe der Zeit immer mehr Raum gibt. Ist die Dunkle Energie ein Merkmal des Raums selbst, dann nimmt logischerweise damit auch ihr Effekt zu.

Renaissance für Einsteins „Eselei“

Albert Einstein bezeichnete seine Kosmologische Konstante als “Eselei”. © Historisch/ Ferdinand Schmutzer

Interessanterweise passt die Dunkle Energie damit zu einem schon von Einstein in die Kosmologie eingeführten Parameter: der Kosmologischen Konstante. Als der Physiker 1915 seine Feldgleichungen zur Allgemeinen Relativität aufstellte, musste er zu einer „Krücke“ greifen. „Denn sie beschrieben das Universum immer als entweder auseinanderfliegend oder zusammenfallend“, erklärt der Physiker David Gerdes von der University of Michigan. „Das musste nach damaligem Verständnis falsch sein, also jonglierte Einstein mit seiner Gleichung herum, um den Kosmos still stehen zu lassen – er fügte einen Term ein, der der Schwerkraft entgegenwirkte.“

Die Kosmologische Konstante Lambda löste zwar das Problem, gefiel Einstein allerdings wenig. Als in den 1930ern die kosmische Expansion bekannt wurde und damit der Zwang eines stillstehenden Universums entfiel, nahm er sie daher schleunigst wieder zurück. Er soll sie damals als die „größte Eselei“ seines Lebens bezeichnet haben. „Jetzt aber zeigt sich, dass es alles andere als eine Eselei war“, so Gerdes. Denn erst diese mittlerweile wieder in die Gleichungen eingefügte Größe passt diese an die sich beschleunigende Expansion des Universums an.

Allerdings: Ob die Dunkle Energie wirklich einer über Zeit und Raum festen Konstante entspricht, ist bisher alles andere als klar…

Galaxiencluster und eine Kamera

Was der Dark Energy Survey über die Dunkle Energie verraten könnte

Eine mondlose Nacht auf dem Cerro Tololo in Chile. Hier, auf 2.200 Metern Höhe in der kargen Leere der Anden, hat gerade eines der ehrgeizigsten Projekte zur Erforschung der Dunklen Energie begonnen. Denn mit Hilfe einer Spezialsensors am Vier-Meter-Teleskop des Cerro Tololo Inter-American Observatory wollen Forscher in den nächsten fünf Jahren die Wirkung dieser geheimnisvollen Kraft genauer erforschen als je zuvor.

„Der Dark Energy Survey wird einige der wichtigsten Fragen unserer Existenz erkunden, erklärt James Siegrist, Leiter der Hochenergie-Forschungsprogramme des US Department of Energy. „In fünf Jahren sind wir dann hoffentlich viel näher an den Antworten und weit reicher in unserm Wissen über das Universum.“Dark Energy Survey – die Forscher erklären ihr Projekt.© Fermilab

Mit 570 Megapixeln in die Vergangenheit

Das wichtigste Hilfsmittel dabei: die Dark Energy Camera. Mit diesem extrem sensiblen 570 Megapixel-Bildsensor wollen die Forscher des Dark Energy Survey insgesamt ein Achtel des Nachthimmels abtasten und dabei das Licht von mehr als 100.000 Galaxienclustern, 300 Millionen Galaxien und 4.000 Supernovae analysieren. Dabei blicken sie nicht nur in große Entfernungen, sondern gleichzeitig auch zurück in die Zeit: „Wir werden bis rund acht Milliarden Jahre zurückschauen, in eine Zeit, in der das Universum viel jünger war“, erklärt David Gerdes von der University of Michigan, einer der am Dark Energy Survey beteiligten Forscher.

Aus der Art und Weise, wie sich die Größe und Form der Galaxiencluster verändert haben, wollen die Forscher Rückschlüsse ziehen über das Wechselspiel von Gravitation und Dunkler Energie: Hat zu einer Zeit die Dunkle Energie die Überhand, sollten sich die Galaxiencluster eher ausdehnen. Dominiert die Gravitation, ballen sie sich eher enger zusammen. Die Rate dieser Veränderungen verrät damit die relativen Stärken dieser beiden kosmischen Gegenspieler während der Geschichte des Universums.

Seltsame Abweichungen

Die Dark Energy Camera, montiert am Blanco Teleskop des Cerro Tololo Observatoriums © Reidar Hahn/ Fermilab

„Wir können vielleicht erkennen, ob die Dunkle Energie sich eher wie Einsteins Kosmologische Konstante verhält oder wie etwas anderes“, so Gerdes. Denn sollte es sich tatsächlich um eine Grundeigenschaft des Raumes selbst handeln, wie es einige Kosmologen glauben, dann müsste sie an allen Stellen des Raums und zu allen Zeiten gleich stark sein. Sollte die Dunkle Energie der Kosmologischen Konstante entsprechen, dann müsste ihr Zustandsparameter ω, ein Wert der das Verhältnis von Druck und Dichte angibt, gängigen Berechnungen zufolge bei -1 liegen.

Drei bisherige Supernova-Surveys haben jedoch bereits abweichende Werte ermittelt. So kam das Pan-STARRS-Experiment im Herbst 2013 auf Basis von 150 vermessenen Supernovae auf ein ω von -1,186. „Wenn ω tatsächlich diesen Wert hat, dann bedeutet dies, dass das einfachste Modell, um die Dunkle Energie zu erklären, nicht stimmt“, sagt Pan-STARRS-Forscher Armin Rest vom Space Telescope Science Institute (STScI) in Baltimore. Noch allerdings ist die Datenlage zu dünn, um dies definitiv sagen zu können, wie er und seine Kollegen betonen.

Dennoch sieht auch Nobelpreisträger Adam Riess, einer der drei Mitentdecker der beschleunigten Expansion, Anlass zur Nachdenklichkeit: „Es könnte sein, dass die Dunkle Energie weitaus interessanter ist als wir hoffen und vermuten.“ Denn entspricht sie nicht der Kosmologischen Konstante und damit einer Grundeigenschaft des Raumes selbst, dann eröffnet dies Möglichkeiten für deutlich exotischere Erklärungsmodelle.

Hatte Einstein doch unrecht?

Das Cerro Tololo Inter-American Observatory vor der Milchstraße © Reidar Hahn/ Fermilab

Und selbst bisher vermeintlich Bekanntes könnte durch neue Erkenntnisse in Frage gestellt werden: „Unser Survey könnte auch entdecken, das die Gravitation gar nicht das ist, für das Einstein sie hielt – das wäre revolutionär“, sagt Gerdes‘ Kollege Gus Evrard. Möglicherweise werde es nötig, auch über die Kräfte neu nachzudenken, von denen man bisher glaubte, sie verstanden zu haben. Bisher haben alle Tests von Einsteins Relativitätstheorie diese allerdings bestätigt.

Klar ist aber schon jetzt: Auch der Dark Energy Survey ist nur ein kleiner erster Schritt auf dem langen Weg, das Geheimnis der Dunklen Energie zu lüften. „Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden viele Elementarteilchen entdeckt und es brauchte in Jahrhundert, bis wir sie verstanden haben“, konstatiert Gerdes‘ Kollege Greg Tarle. „Dunkle Energie ist wieder eine komplett neue Sache: Sie besteht nicht aus Teilchen. Sie verdünnt sich nicht mit der Expansion des Universums. Sie wirkt auf die Textur des leeren Raums. Ich glaube, dass es auch hier ein Jahrhundert dauern wird, bis wir sie vollständig verstanden haben.“

Ist der leere Raum voll?

Dunkle Energie als Quantenfluktuationen im Vakuum

Das Vakuum des Weltraums erscheint uns als der Inbegriff der Leere: Keine Luft, keine Materie, keine Energie – eben nichts. Aber dieser Eindruck täuscht – und bildet die Basis für zwei verschiedene Erklärungsansätze der Dunklen Energie: die Vakuumenergie und das Quintessenzfeld.

Vakuumenergie und virtuelle Teilchen

Der Quantnetheorie nach entstehen auch im scheinbar leeren Raum ständig virtuelle Teilchen, die sich gegenseitig wieder auslöschen. © Podbregar

Der erste Ansatz stammt aus der Quantentheorie. Nach klassischer Sichtweise ist das Vakuum der energieärmste Zustand, quasi die Nulllinie des Kosmos. Doch quantenphysikalisch betrachtet enthält selbst das Vakuum noch eine Minimalenergie, erzeugt durch Fluktuationen auf der Quantenebene. Diese wiederum führen dazu, dass im Vakuum immer wieder virtuelle Teilchen entstehen. Diese Paare aus Teilchen und Antiteilchen tauchen plötzlich auf, nur um sich Sekundenbruchteile später wieder auszulöschen. Ihre Existenz ist dabei viel zu kurz, um sie messen zu können.

„Nichts ist daher voller als das Quantenvakuum, seine Fluktuationen tragen fundamental zu den Werten bei, die wir beobachten und messen“, erklärt Joan Solà von der Universität Barcelona. Und ähnlich wie es die Kosmologische Konstante erfordert, ist auch diese Vakuumenergie eine intrinsische Eigenschaft des Raumes selbst. Sie ist daher überall gleich stark und ändert sich auch in der Zeit nicht. Diese Vakuumenergie könnte daher nach Ansicht einiger Physiker genau das sein, was die Expansion des Raumes vorantreibt – die Dunkle Energie.

Mehr Raum – mehr Vakuumenergie

Galaxiencluster Abell 2744: Im frühen Universum war zwischen ihm und anderen Clustern sehr viel weniger leerer Raum © NASA/Hubble

Und sie könnte auch erklären, warum die beschleunigte Ausdehnung erst vor einigen Milliarden Jahren begann: Im frühen Universum war die Materie sehr viel dichter gepackt als heute, zwischen den Galaxien und Galaxienclustern war daher sehr viel weniger freier Raum. Dadurch gab es auch weniger Vakuumenergie im Verhältnis zur Materie. Als Folge dominierte die Wirkung der Gravitation und sorgte für eine langsame Expansion. Inzwischen aber hat sich das Universum weiter ausgedehnt und mit ihm der Raum und damit die Quelle der Vakuumenergie. Wie für die Dunkle Energie postuliert, gewann sie daher die Überhand und wirkt nun beschleunigend auf die kosmische Ausdehnung.

Bisher gibt es mit diesem Modell aber ein entscheidendes Problem: Wenn Physiker ausrechnen, wie hoch die Vakuumenergie sein könnte, dann kommen sie auf Werte, die um gigantische 10 hoch 120 Mal höher liegt als alles, was für die Dunkle Energie in Frage kommt. Diese Diskrepanz kann die Quantentheorie bisher nicht erklären oder aus der Welt schaffen.

Hilfe vom Higgsfeld?

Eine Chance dazu sehen aber immerhin der Physiker Lawrence Krauss von der Arizona State University und seine Kollegen. Denn er vermutet, dass Skalarfelder wie das Higgsfeld eine wichtige Einflussgröße für die Vakuumenergie sein könnten. Ihre Wechselwirkungen könnten dafür sorgen, dass letztlich genau die Menge an Energie entsteht, die der als Dunkle Energie beobachteten entspricht.

„Unsere Berechnungen demonstrieren, dass diese sehr geringe Energiemenge durch eine nur kleine Erweiterung des Standardmodells der Teilchenphysik erzeugt werden kann“, so Krauss. Aber auch das sieht er nur als einen ersten Schritt, um den Geheimnissen der Dunklen Energie näher zu kommen. Von einem Beleg für die Vakuumenergie als Ursache für die Dunkle Energie ist auch das noch weit entfernt.

Ein exotisches Feld

Was die Quintessenz-Modelle mit dem Higgs zu tun haben

Ein weiterer Erklärungsansatz für die Dunkle Energie hat einiges mit dem Higgsfeld gemeinsam – dem Mechanismus, der aller Materie ihre Masse verleiht. Denn dabei handelt es sich um ein Skalarfeld, das das gesamte Universum durchzieht und an jedem Punkt einen bestimmten Wert hat. Im Falle der Dunklen Energie sprechen Forscher von einem Quintessenzfeld – benannt nach dem geheimnisvollen „fünften Element“, aus dem nach Pythagoras die vier Grundelemente Wasser, Luft, Feuer und Erde einst hervorgingen.

Dunkle Energie als ein Skalarfeld im Kosmos? © gemeinfrei

Der Quintessenz-Hypothese nach interagiert das Feld der Dunklen Energie ähnlich wie das Higgsfeld mit der Materie. Es verleiht dieser aber keine Masse, sondern wirkt stattdessen der Schwerkraft entgegen. Im Unterschied zu einer Grundeigenschaft des Raumes oder der Vakuumenergie kann das Quintessenzfeld aber an verschiedenen Stellen des Weltalls unterschiedliche Werte annehmen und sich auch mit der Zeit verändern. Diese Veränderungen müssten sich durch Beobachtungen nachweisen lassen, hoffen die Vertreter der Quintessenz-Modelle.

Ein Feld „friert“ aus

So könnte dieses Feld im frühen Universum einen Phasenübergang durchlebt haben: Als sich das Universum 2,2 Milliarden Jahre nach dem Urknall deutlich abkühlte, „fror“ auch das Feld aus. Seine Energiedichte sank dadurch abrupt von einem sehr hohen Niveau auf sein heutiges, eher niedriges ab. Dieser Phasenübergang und die dabei freigesetzte Energie müssten messbare Spuren hinterlassen haben, wie Robert Scherrer von der Vanderbilt University und Stephen Tsu von der University of Oregon postulieren.

Denn weil die Stärke des Quintessenzfelds damals abrupt abnahm, müsste auch die Expansion vor rund elf Milliarden Jahren messbar verlangsamt worden sein. Um dies aber nachzuprüfen, reicht die Blicktiefe des Dark Energy Survey nicht aus – er schaut nur rund acht Milliarden Jahre zurück.

Neutronen als Messfühler

Ultrakalte Neutronen zwischen zwei Platten als Messhilfe für Gravitationseffekte © TU Wien

Eine andere Möglichkeit, ein Quintessenzfeld nachzuweisen, sind Experimente, die im kleinsten statt im Größten nach Wirkungen der Dunklen Energie suchen. Eines davon erbrachte im April 2014 Ergebnisse, die den Spielraum für die Quintessenz-Modelle deutlich verkleinern. In diesem Experiment untersuchten Forscher um Hartmut Abele von der TU Wien mit Hilfe ultrakalter Neutronen, ob und in welchem Maße ein dieses hypothetische Feld die Wirkung der Gravitation auf diese Elementarteilchen beeinflusst.

Dabei werden die heruntergekühlten Neutronen zwischen zwei horizontale Platten gebracht. Neutronen in diesem Zustand nur diskrete Quantenzustände einnehmen. Wirkt neben der Gravitation noch ein unbekanntes Feld auf die Teilchen ein, dann müssten ihre Zustände winzige Abweichungen von dem theoretisch Vorhergesagten aufweisen. Die Messungen ergaben jedoch bisher keine Hinweise auf eine solche Wechselwirkung.

„Wir haben keine Abweichungen von den etablierten Newtonschen Gesetzen der Schwerkraft detektiert“, berichtet Studienleiter Hartmut Abele von der TU Wien. Das bedeutet auch, dass der Bereich, in dem sich diese rätselhaften Feldwirkungen noch verbergen könnten, damit erheblich verkleinert wird. Die neuen Daten senken die in bisherigen Messungen festgestellte Obergrenze um das mehr als Zehntausendfache ab, wie die Forscher berichten. Damit ist das Quintessenzfeld zwar nicht vom Tisch, aber es wird weniger wahrscheinlich.

Alles nur Illusion?

Warum es einigen Hypothesen nach gar keine Dunkle Energie geben muss

Für die Mehrheit der Kosmologen ist die Dunkle Energie – woraus sie auch immer besteht – die plausibelste Erklärung für die beschleunigte Expansion des Universums. Doch es gibt auch sehr viel radikalere Ansichten. Einige Forscher gehen sogar soweit, die Dunkle Energie für eine bloße Illusion zu erklären. Die schnellere Ausdehnung des Kosmos ist demnach nur eine Anomalie unserer Position im All. Oder noch radikaler: nicht die Expansion des Raums beschleunigt sich, sondern die Zeit wird langsamer.

Abweichungen vom Durchschnitt

Hubble-Diagramm: Nicht alle Galaxiencluster liegen auf der Linie der Hubble-Konstante © Podbregar

Der Ausgangspunkt ist die klassische Hubble-Konstante: Der Wert, ermittelt über tausende von fernen Galaxien und Supernovae, der die durchschnittliche Expansionsrate des Weltalls angibt. Für den Kosmologen Christos Tsagas von der Aristoteles Universität in Thessaloniki war das entscheidende Schlüsselwort dabei „durchschnittlich“. Denn betrachtet man ein Diagramm, auf dem die Geschwindigkeit aufgetragen ist, mit der unterschiedlich ferne Galaxien von uns wegstreben, dann gibt es durchaus Abweichungen. Einige bewegen sich schneller von uns weg als der Durchschnitt, andere langsamer.

Das ist nicht weiter verwunderlich, denn die Schwerkraft kann der Expansion lokal durchaus entgegenwirken. So bewegen sich die Milchstraße und die Andromedagalaxie trotz Ausdehnung des Raumes aufeinander zu. Die Bewegung einer Galaxie relativ zu weit entfernten Objekten ist daher immer eine Kombination aus lokalen Effekten und der kosmischen Expansion. Unsere Milchstraße besitzt beispielsweise relativ zum kosmischen Mikrowellen-Hintergrund eine Eigengeschwindigkeit von rund 627 Kilometern pro Sekunde.

Eigenbewegung statt Dunkler Energie

Und genau hier kommt Tsagas‘ Theorie ins Spiel: Seiner Ansicht nach sorgt diese Eigenbewegung dafür, dass sich von uns aus gesehen ferne Galaxien schneller zu entfernen scheinen als sie es tun. Oder anders gesagt: Wir messen zwar eine beschleunigte Expansion, aber diese ist eine Illusion, hervorgerufen durch unsere Eigenbewegung. Eine Dunkle Energie kann es demnach gar nicht geben.

„Der Effekt ist lokal, aber die betroffenen Größenordnungen sind groß genug, um den falschen Eindruck zu erwecken, dass der gesamte Kosmos kürzlich in eine beschleunigte Phase eingetreten ist“, so Tsagas. In Wirklichkeit aber verhalte sich der Kosmos wie in Einsteins ursprünglichen Gleichungen vorhergesagt: Er expandiert zwar, aber diese Ausdehnung verlangsamt sich im Laufe der Zeit.

Gerichteter Fluss statt gleichförmiger Ausdehnung? NASA-Forscher Kashlinsky sieht einen Dark Flow in den Bewegungen der Cluster. © NASA/Goddard/A. Kashlinsky, et al.

Tsagas steht damit nicht allein: Schon vor einigen Jahren hat Alexander Kashlinsky vom Observational Cosmology Laboratory der NASA Ähnliches postuliert. Er und seine Kollegen wollen anhand von Messungen festgestellt haben, dass sich eine gewaltige, 2,5 Milliarden Lichtjahre große Region um uns herum schneller bewegt als der Rest des Kosmos. Etwa drei Millionen Kilometer pro Stunde verschiebt sich diese Blase der Raumzeit, auch als „Dark Flow“ bezeichnet, demnach gegenüber unseren kosmischen Nachbarn.

Wird die Zeit langsamer?

Noch exotischer ist eine Hypothese spanischer Forscher um José Senovilla von der Universität des Baskenlandes: Sie mutmaßen, dass nicht der Raum sich schneller ausdehnt, sondern dass sich die Zeit verlangsamt. Dieser Effekt wäre für uns in Alltag und selbst mit genauesten Zeitmessungen nicht erfassbar. Doch über Milliarden Jahre hinweg könnte sich die Zeit ganz allmählich verlangsamen. Das aber führt nach Ansicht der Forscher zu einer verfälschten Messung der Expansion: In Wirklichkeit hat sie sich nicht beschleunigt. Eine Dunkle Energie muss es daher gar nicht geben.

Dieses Szenario klingt auf den ersten Blick unmöglich, gilt die Zeit doch als eine der festen Größen unseres Universums. Doch schon Einstein belegte, dass beispielsweise Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit und auch extreme Schwerkraftbedingungen wie an einem Schwarzen Loch die Zeit für einen Beobachter verlangsamen können. Auf ähnliche Weise, so die Hypothese von Senovilla und seinen Kollegen, könnte sich auch im Verlauf der Entwicklung des Universums die Zeit verändern. In Milliarden von Jahren könnte sie sogar ganz stoppen.

Wirrwarr der Modelle

NASA-Forscher Kashlinsky sieht einen Dark Flow in den Bewegungen der Cluster. Die Elippsen markiren die Richtung, in die die farbig markierten Cluster driften. © NASA/Goddard/A. Kashlinsky, et al.

Tatsächlich wird dies zumindest von einigen anderen Kosmologen durchaus für möglich gehalten. So erklärt Gary Gibbons von der Cambridge University: „Wir glauben, dass die Zeit erst während des Urknalls entstand – und wenn die Zeit entstehen kann, dann kann sie auch wieder verschwinden.“ Allerdings: Die Hypothese von Senovilla und Co gilt ansonsten eher als skurriler Außenseiter im großen Wirrwarr der Erklärungsversuche und Modelle.

Bisher allerdings ist keine der unzähligen Hypothesen zur Dunkeln Energie und der Ursache der beschleunigten Expansion bewiesen. Jede von ihnen kann sich noch als völlig falsch oder aber richtig herausstellen. Der Physiker Cliff Burgess vom Perimeter Institute in Kanada, vergleicht die Ungewissheit der Situation mit einer Menschenmenge, in der jeder sich für Napoleon hält, aber alle anderen für komplett verrückt hält, die das gleiche von sich behaupten. Wer der echte Napoleon ist, muss die Zukunft erst noch zeigen…

-Nadja Podbregar

Source: Dunkle Energie – scinexx.de

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